Freiheit statt Strauß. Aktion für mehr Demokratie

Aufkleber, 1979

Mit Franz Josef Strauß drohte ein rhetorisch äußerst begabter »Vollblut«-Politiker Bundeskanzler zu werden, dessen politischer Weg von Skandalen und Affären gepflastert war. Schon deshalb hielt sich das Vertrauen des Wahlvolkes zu ihm in engen Grenzen. Kaum jemand hat in der deutschen Nachkriegsgeschichte so polarisiert wie er, und seine Kandidatur versetzte alle um die Demokratie Besorgten in große Unruhe.
Franz Josef Strauß war auch in den Schwesterparteien CDU/CSU nicht unumstritten. Erst nach langen internen Auseinandersetzungen hatten sich die Unionsparteien entschieden, ihn ins Rennen um die Kanzlerschaft zu schicken. Mit der polemischen Parole »Freiheit statt Sozialismus«, von einigen Unionschristen zu »Freiheit oder Sozialismus« heruntergemendelt sollte die bis dahin von einer sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt gehaltene Bonner Festung gestürmt werden.
Zur Gründung einer unabhängigen Bürgerinitiative für den beginnenden Bundestagswahlkampf trafen sich am 2. September 1979 im Volkshaus Oberhausen-Eisenheim zwanzig Gewerkschafter, Künstler und Journalisten. Die kleine Oberhausener Runde wählte Adi Ostertag, Leiter des IG-Metall-Bildungszentrums Sprockhövel, und mich zu ihren Sprechern. Nach einigem Hin und Her gaben wir uns in Anspielung an die CDU-Parole den Namen »Freiheit statt Strauß. Aktion für mehr Demokratie«. Was niemand vorausgesehen hatte: Die Initiative breitete sich lawinenhaft aus. In der heißen Wahlkampfphase gab es schließlich über 210 lokale Gruppen, die bei mehr als 200 Veranstaltungen über 150 000 Leute erreichten. Die produktivsten Initiativen bestanden aus drei Personen: einem Theoretiker, einem Praktiker, einem Helfer. Wurden es mehr, geriet das eigentliche Ziel der Arbeit schon einmal aus dem Blickfeld, kam bei einigen sogar der Gedanke auf, ob es nicht besser sei, gleich eine neue Partei zu gründen, mit der dann endlich alles besser würde.

Plakat/Postkarte, 1980

Niemand vermochte so viele Gegner unterschiedlichster Couleur zu mobilisieren wie Strauß. Darunter waren auch viele Trittbrettfahrer, die Strauß nur als Vorwand für ganz andere Ziele benutzten. So erwies sich die unter dem Namen »Stoppt Strauß« firmierende, bundesweit agierende Initiative als unser härtester Gegner unter den Widersachern des Unionskandidaten. Geschickt hatte die DKP –  an Wahlabenden als Splitterpartei stets nur unter »ferner liefen« registriert – das weitverbreitete Anti-Strauß-Syndrom für sich zu nutzen versucht. Nicht ohne Erfolg.
In Orten, in denen die »Stoppt Strauß«-Leute mit der Gründung einer Initiative schneller waren als wir, hatten wir kaum noch eine Chance. Selbst gestandene Sozialdemokraten blieben bei ihrem Irrtum. Wer wollte schon eingestehen, dass er der DKP auf den Leim gegangen war. Nicht, dass auf diesem Wege versucht worden wäre, die Wähler davon zu überzeugen, die kommunistische Partei zu wählen. Das Wahlergebnis von 0,2 Prozent auf die schwindelnde Höhe von 0,3 Prozent hinaufzuschrauben wäre die gewaltige Anstrengung ohnehin nicht wert gewesen. Man wollte mit Hilfe von Strauß vor allem an neue Leute herankommen. Viele der Geköderten fanden sich dann auch bald in Seminaren wieder, in denen die Rolle der SPD seit der Bewilligung der Kriegskredite im Ersten Weltkrieg untersucht wurde. Von Wahlkampf war dann keine Rede mehr Ein Problem unserer Initiative war und ist die große Fluktuation. Nicht wenige finden Gefallen an kontinuierlicher politischer Arbeit auf anderer Ebene und treten der SPD bei. Einige wurden Parlamentarier wie Elga Kampfhenkel, die lange Zeit die Berliner Initiative leitete und später die SPD Berlin-Kreuzberg viele Jahre im Abgeordnetenhaus vertrat. An der »Spitze« der meisten Gruppen stehen engagierte Frauen wie Elisabeth Kuppert in Lippstadt, Gerda Lehmensiek in Bremen, Sabine Reif in Mühlheim/Ruhr.

Plakat, 1979

Von Anfang an ging es uns auch um die Erprobung eines neuen Veranstaltungstyps, der der personellen Zusammensetzung der Initiative entspricht: eine Verbindung von Kultur und Politik von Musik, Lesung, Theater, Ausstellung und Diskussion jeweils gleichwertig nebeneinander. Dabei sollen weder die Politik als Vehikel für Kultur noch die kulturellen Angebote als Vorwand für politische Diskussionen dienen. Die Leute, die zu uns kommen, wollen nicht nur beschallt werden, sondern unsere Standpunkte zu Kultur und Politik erfahren. Sie wollen mit reden. Deshalb haben wir die Politik nie versteckt.
Mit all unseren vielfältigen Aktivitäten knüpften wir bewusst an die Erfahrungen der in den sechziger Jahren von Günter Grass initiierten Sozialdemokratischen Wählerinitiativ an, die in reduzierter Form parallel zu unserer Aktion noch über viele Jahre weiter existierte.
Die Tatsache, von der Partei, die wir unterstützen, unabhängig zu sein, nutzen wir stets auch für solidarische Kritik, wenn wir das im Sinne der gemeinsamen Sache für erforderlich halten. Gerade dadurch werden wir für Zweifler und für jene glaubwürdig, die sich bereits von der Politik abgewendet haben. Wir haben Zulauf, weil wir aus der Routine der üblichen Politikbeglückung ausbrechen.
Dabei wird der Mut zum Experiment nicht immer belohnt. Die Flucht in große Namen bleibt für jede Gruppe verlockend. Oft sind es auch die leidigen Erfahrungen mit den örtlichen Medien: Über Veranstaltungen ohne »Weltmeister« wird weder vorher noch im nachhinein berichtet. Selbst Großveranstaltungen mit Medienstars finden oft nur ein mattes Echo. Die einen zieren sich, weil unser Engagement ja Wahlkampf sei, die anderen verstecken sich hinter dem Proporzargument: Solange es keine CDU-Wählerinitiative am Ort gebe, könne auch über unsere Aktivitäten nicht berichtet werden.

Plakat/Flugblatt, 1980

Später, nach verlorener Wahl, hat sich Franz Josef Strauß einmal bitter beklagt, dass unsere Initiative wesentlich zu seiner Wahlniederlage beigetragen habe. Das mag zwar schmeichelhaft klingen, bedeutet jedoch eine maßlose Überschätzung unseres zwar effektiven, aber in seiner Gesamtwirkung recht bescheidenen Treibens.
Der spektakulärste, von uns organisierte Wahlkampfauftritt fand am 31. Ma 980 in der Freilichtbühne Bad Segeberg statt, jenem Ort, an dem sich sonst nur Winnetou und Old Shatterhand ewige brüderliche Treue schwören. Unsere avisierten Bühnenstars waren Helmut Schmidt, Udo Lindenberg mit seinem Panikorchester, die Rockband Desire, Egon Bahr, Günther Jansen, Vivi Bach und Dietmar Schönherr als Moderator. In den Karl-May-Kulissen trat auch die Liedermacherin Bettina Wegner auf, die zu diesem Zeitpunkt noch in der DDR lebte Schon Anfang Mai hatte sie uns bei einer mehrtägigen, äußerst erfolgreichen Wahltournee durch die Republik unterstützt. Lindenberg, der durch seine Teilnahme an unserer Eröffnungsveranstaltung am 13. Februar 1980 in der Hamburger »Fabrik« der Initiative zu bundesweiter Aufmerksamkeit verholfen hatte, war nach Bad Segeberg mit dem Versprechen gelockt worden, dass es zu einer öffentlichen Diskussion zwischen ihm und Bundeskanzler Helmut Schmidt kommen sollte unter dem Erfolgslabel »Kanzler trifft Kanzler Erst während des laufenden Spektakels wurde uns bewusst, dass alle auf einen verbalen Schlagabtausch zwischen den beiden warteten, bis auf Helmut Schmidt, der von nichts wusste. Offenbar hatte niemand aus seiner Umgebung gewagt dem Bundeskanzler unsere überall plakatierten Dialogwünsche vorzutragen.
Allein durch Vermittlung von Loki Schmidt kam es dennoch zu einem historischen Sechs-Augen-Gespräch zwischen den beiden und mir als stummem Zeugen einer wundersamen Begegnung. Das Ereignis fand aber nicht auf, sondern nur neben der Hauptbühne statt, zwar für das Publikum sichtbar, aber ohne Mikrofone, ohne Scheinwerfer.
Udo, mit dieser Lösung zunächst hochzufrieden, änderte von einem Konkret Redakteur angeheizt vor seinem Bühnenauftritt seine Meinung. Von da an waren wir gegenüber den einigen tausend Besuchern auf den Rängen nur noch um Schadensbegrenzung bemüht. Erst als sich gegen Mitternacht das Abenteuerseinem turbulenten Ende näherte, stellten wir fest, dass in der allgemeinen Hektik vergessen worden war, die Kassenhäuschen zu besetzen. So endeten unsere alternativen Karl-May-Festspiele auch noch mit einem finanziellen Debakel. Teile der Presse feierten das nicht öffentlich zustande gekommene Gespräch zwischen Lindenberg und Schmidt genüßlich als Niederlage unserer Initiative.