Deutschlandfunk, Kultur heute, 14.2.2017
Klaus Staeck im Gespräch mit Michael Köhler
Hype um SPD-Kanzlerkandidaten „Natürlich ist Martin Schulz kein Heiliger“
Der Plakatkünstler und frühere Präsident der Akademie der Künste hält den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz für einen authentischen und geerdeten Politiker.
Lichtgestalt, Heilsbringer, Erlöser: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wird in sozialen Medien gefeiert. Der Plakatkünstler und SPD-Aktivist Klaus Staeck hält Schulz zwar für einen authentischen Kandidaten – das Gerede vom „Heiligen Schulz“ sei aber „natürlich Unsinn“, sagte er im DLF. Der popkulturelle Umgang mit Politik nehme der Demokratie aber ihre Langeweile.
Michael Köhler:
Er gibt einer Currywurst am Imbisswagen drei Sterne und kokettiert damit, auch ohne Abitur Kanzler werden zu können. Der Höhenflug des Martin Schulz erreicht bildlich schon die Himmelspforte. Während der „Spiegel“ den amerikanischen Präsidenten in einer Titel-Grafik als Dschihadisten in Anzug und Krawatte darstellt, erfreut sich der deutsche Kanzlerkandidat der SPD in Fotocollagen einer ungeahnten Wertschätzung und Aufwertung in sozialen Medien als Heilsbringer, Lichtgestalt, Erlöser und Energieträger. Unter #schulzzug kursieren Bilder und Collagen, die den Kandidaten in fürsprechender Propaganda darstellen als Pop-Rebell ohne Haupthaar mit Brille und Vollbart: Jesus Martin Superstar Schulz. Egal, ob das anonym von Bloggern oder den Jusos eines SPD-Ortsvereins in Hessen gemacht wurde.
Wir haben den deutschen Plakatkünstler und SPD-Aktivisten des letzten halben Jahrhunderts gefragt, den früheren Präsidenten der Akademie der Künste, Klaus Staeck. Was begegnet uns da neuerdings, der „Heilige Sankt Martin aus Würselen“, was würden Sie sagen?
Klaus Staeck: Na ja, er ist authentisch. Ich glaube, das ist noch die schlichteste und einfachste Beschreibung. Und sehr viele Menschen in diesem, unserem Lande können sagen, das ist schon einer von uns. Diese, meine Mutter würde sagen, Herzenswärme, die er verströmt, die erreicht die Menschen, und das ist schon viel. Wenn man das abwägt, und das muss man ja tun, wenn zwei Kandidaten da hauptsächlich zur Wahl stehen, dann wirkt die Bundeskanzlerin eher kühl, um es vorsichtig auszudrücken.
„Mit Sicherheit wird er gejagt werden, auch in den Medien“
Köhler: Ich höre aus Ihren Worten, Sie finden das gelungen und finden das förderlich und sehen nicht die Chance auch, dass das vielleicht nach hinten losgehen kann, wenn eine Lichtgestalt als Jesus dargestellt wird oder als Zauberkünstler mit übernatürlichen Energiekräften?
Staeck: Nein, das machen ja andere. Wer so geerdet ist, sage ich mal, wie der gute Martin Schulz, an dem prallt Vieles auch ab. Und diese ganzen Angriffe, die da auch jetzt kommen – und mit Sicherheit wird er gejagt werden, auch in den Medien -, die werden abprallen, und ich glaube, das wird nach hinten losgehen. Ich glaube, der hat eine Art Regenhaut auch. Die braucht man auch als Politiker in der ersten Reihe, gar keine Frage. Und dass so viele Leute plötzlich sich identifizieren mit einem Politiker – Politiker haben ja nicht das höchste Ansehen, wie wir wissen – und dass da reihenweise Tausende plötzlich das Mitgliedsbuch der SPD erwerben wollen, so was habe ich überhaupt noch nicht erlebt. Ich bin ja nun lange in diesem, sagen wir es mal, Beobachtungsgeschäft auch.
„Ich möchte eine Veränderung haben“
Köhler: Wenn ich mich entsinne – und inzwischen bin ich auch schon so alt -, hat Klaus Staeck Plakate gemacht, die waren oft gegen etwas: Strauß hält die „Bild“-Zeitung in der Hand, darauf steht „Juso beißt wehrloses Kind“ – „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf.“
Staeck: Richtig.
Köhler: Was ich damit sagen will: Sie waren noch immer gegen etwas. Die neuen Kampagnen sind für etwas.
Staeck: Gut: Satire greift immer an und Satire verteidigt in der Regel die Schwachen gegen den Übermut der Starken. Das ist meine Definition von Satire. Ich habe ja auch mal gegen Frau Merkel ein Plakat gemacht. Satire ist ja nichts von vornherein Negatives; sie wird manchmal so dargestellt. Auch die Clowns sind doch positive Leute, meist sehr traurige Leute, wie ich den einen oder anderen auch kenne. Natürlich: Das Positive steckt natürlich in mir genauso wie in vielen, vielen anderen Menschen. Ich möchte eine Veränderung haben.
„Mein Leben war nie langweilig“
Köhler: Was ist der Unterschied? Früher klebten Sie Plakate gegen Strauß und Kohl und gegen die Rüstungsindustrie und gegen Philipp Jenninger und gegen die Atomkraft, wenn ich mich recht entsinne. Und heute, was macht man da? Da postet man für etwas.
Staeck: Na ja, für etwas. Aber noch mal: Satire ist in der Regel immer, sagen wir, über einen Umweg für etwas, ist nie negativ. Das ist immer ein Irrtum, wenn man Satire negativ einordnet. Satire ist erst mal auch ein Teil der Lebenslust. Mein Leben war nie langweilig. Ich habe es auf 41 Verfahren gebracht mit meinen Sachen – Gott sei Dank alle gewonnen, alle Gerichtsurteile.
Köhler: Aber das werden diese neuen Posts doch garantiert eben nicht! Die kommen doch aus der popkulturellen Konsum- und Wohlfühlgesellschaft, sage ich jetzt mal ein bisschen böse.
Staeck: Aber von mir gibt es auch eine lange Phase der Popkultur. Es war neulich eine Ausstellung, eine große in Leipzig, da konnte ich meine Grafiken alle noch mal zeigen.
„Natürlich ist der Mann kein Heiliger“
Köhler: Steht dem Bellizismus der Kampagne eines Trump sozusagen der Wohlfühlwahlkampf eines positiven Kampagning gegenüber von Bob dem Brückenbaumeister Schulz, beziehungsweise auf Jutebeuteln kann man dann auch lesen, „Make Europe Great Again“. Das ist doch ein ganz anderes Programm. Das ist ein kontinentaleuropäisches Gegenprogramm gegen diesen kämpferischen und aufhetzenden amerikanischen Wahlkampf, oder?
Staeck: Ja! Wenn wir schlau sind, werden wir auch dieses Gegenprogramm weiterfahren, alle miteinander. Und für mich war die CDU auch nie der Feind – der politische Gegner. Nein! Wissen Sie, das Schlimmste ist für mich immer, was der Demokratie passieren kann, wenn sie an Langeweile so dahinsiecht. Das ist jetzt aufgehoben. Ob das sich Pop nennt oder wie immer, und natürlich ist der Mann kein Heiliger. Das ist ja gerade seine Stärke, dass er sagt, ich bin so, wenn man die Mehrheit sich vorstellt, einer von euch.
Köhler: Herr Staeck, wenn Sie heute noch mal anfangen sollten und wir wissen, dass Wahlen nicht nur in Fußgängerzonen, an Wahlständen und beim TV-Duell entschieden werden, sondern in der Meinungs- und Stimmungsdemokratie heute sehr viel über soziale Medien läuft, würden Sie dann als YouTuber oder als Hashtager noch mal neu anfangen?
Staeck: Wahrscheinlich! – Ja, wahrscheinlich. Aber trotzdem: Ich bin nun mal auch ein Mensch, der aus dem Papierzeitalter kommt. Ich lese täglich meine Zeitungen, bin nicht bei Facebook, habe aber andere Freunde, Freundinnen, die da sind und die das auch beherrschen. Trotzdem noch mal: Man darf nicht die älteren Menschen auch vergessen, die nun nicht jetzt sich nur im Netz bewegen. Die gehen wenigstens zur Wahl. Das hat man ja nun beim Brexit und wo überall gemerkt. Jüngere haben da offenbar ihre Probleme. Denen reicht’s, sich über Facebook auszutauschen.
„Endlich gibt es mal wieder politischen Streit“
Köhler: Es gibt keinen direkten Weg von der positiven Kampagne zur Wahlurne?
Staeck: Ja. Die Amerikaner, die das untersucht haben, behaupten ja, es wäre so, dass die Wahlen im Netz entschieden werden. In Amerika sei es so gewesen, wird behauptet. Bei uns ist es, glaube ich, noch nicht so weit, aber natürlich wird man beides tun. Sie merken auch, ich bin in einer relativ fröhlichen Stimmung durch diese Ereignisse, dass es endlich wieder mal politischen Streit gibt und nicht nur um Äußerlichkeiten. Und dieses Gerede von dem Heiligen, das ist natürlich Unsinn, und es wird sich sehr schnell herausstellen, dass das auch ein paar Leute betreiben, die immer alles ein bisschen sehr hoch hängen.
Der Mann ist ungeheuer geerdet. Ich habe ihn gestern Abend wieder erlebt hier bei einer Berlinale-Diskussion. Der weiß, was er sagt, und für mich wichtig: Er liebt die Bücher. Dem muss man nicht erklären, dass Kultur auch zu unserem Leben gehört, sondern dass sie ins Zentrum gehört, und das überträgt er. Er ist einfach glaubhaft und das ist einer der großen, großen Werte in unserer Gesellschaft, an dem man ja auch nun Politiker beurteilt und misst, und das ist auch gut so. (…)