Unterwegs für mehr Demokratie

30.11.2017
Respekt vor Martin Schulz
In den Kommentarspalten klebt der Kopf von Martin Schulz auf der Zielscheibe. Wer all das jeden Tag über sich liest, braucht starke Nerven.
Kolumne in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau

28.11.2017
Zwei plus fünf
Ein Vorschlag zur Diskussion von Bernhard Schlink und Klaus Staeck

Martin Schulz hat sich am Wahlabend gegen sie ausgesprochen, der Parteivorstand hat sich nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung gegen sie entschieden, die Jusos wollen sie nicht, und die Basis der SPD will sie auch nicht. Die Fortsetzung der großen Koalition schadet der SPD.

Aber es scheint, als bleibe nur noch sie. Merkel wollte sie von Anfang an und hat dafür die FDP aus der Sondierung getrieben. Die SPD sieht sich in der Verantwortung für die Stabilität in Deutschland und Europa. Muss sie die große Koalition fortsetzen, auch wenn es ihr schadet?
Es geht anders. Die SPD kann ihrer Verantwortung genügen und zugleich die Zäsur setzen, ohne die es mit ihr weiter abwärts geht. Keine Fortsetzung der großen Koalition für weitere vier Jahre. Stattdessen ihre Vereinbarung auf zwei Jahre mit fünf zentralen sozialdemokratischen Zielen. Danach entscheiden die Wähler und Wählerinnen, wie die gegenwärtigen Mehrheitsverhältnisse in tragfähigere Mehrheitsverhältnisse überführt werden.

Zwei plus fünf – nicht vier weitere Jahre wie gehabt, sondern zwei Jahre, in denen fünf zentrale sozialdemokratische Ziele zu erreichen sind. Jetzt nicht abwarten, was Merkel anbietet, nicht vorfühlen, was sie akzeptiert, keine Sondierungen und Koalitionsgesprächen mit dem bunten Strauß von Zielen und Wünschen, der schon im Wahlkampf verwirrte statt überzeugte. Sondern mit fünf zentralen sozialdemokratischen Zielen ein klares Profil. Zwei Jahre – damit wären Neuwahlen und eine Minderheitsregierung vom Tisch und damit genügtdie SPD ihrer Verantwortung für Stabilität. Fünf Ziele – damit gewinnt die SPD wieder das Profil, das die Jusos, die Parteibasis und die Wähler und Wählerinnen vermissen und das die SPD braucht.

Welche fünf Ziele?
Die Bürgerversicherung, eine Bildungsoffensive, ein Einwanderungsgesetz, eine Steuerreform und mit Macron Europa gestalten. Wenn nicht diese fünf, dann andere – darüber, welche sozialdemokratischen Ziele jetzt zentral sind, sollten wir in der SPD diskutieren. Nicht über die Fortsetzung der großen Koalition wie gehabt – mit ihr geht es nur weiter abwärts.

Bernhard Schlink, Klaus Staeck

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller verlieh am 1.10.2017
Klaus Staeck den Verdienstorden des Landes Berlin:

Unterwegs für mehr Demokratie
Klaus Staeck ist überaus aktiv und scheint permanent unterwegs zu sein. Jüngst vor allem im Rahmen der Aktion für mehr Demokratie“, sagte Michael Müller. In seinen neun Jahren als Präsident der Akademie der Künste habe Staeck dafür gesorgt, dass sich die Akademie wieder zu einem Ort lebendiger, gesellschaftlicher Debatten entwickelte. „Von diesem Engagement können wir gar nicht genug haben.“ In dieser Zeit sei ihm die Stadt besonders ans Herz gewachsen, so Klaus Staeck. „Weil Berlin einen fordert. Ich bin eine Art Tatmensch, und der hat sich hier immer sehr wohlgefühlt.“
Sabine Flatau in der Berliner Morgenpost (2.10.2017) 

Der Countdown läuft

Wahlkampf in Potsdam

Repräsentative Demokratie verteidigen!

Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau, 24. August 2017
Kolumne

Nichts ist entschieden

Nach einer für die SPD verlorenen Landtagswahl meinte ein Redakteur des von mir geschätzten Deutschlandfunks: „Für Häme ist es noch zu früh“. Inzwischen sind wir einige Runden weiter. Auch politische Kampagnen laufen meist nach den Regeln eines politischen Lehrstücks.  Die Akteure in den Medien, samt Meinungsforscher – sie alle wollen mitbestimmen, mitregieren. In Wahlen oft mühsam errungene Mandate anstreben? Nein danke.
Getreu meines Grundsatzes, dass die Demokratie nicht an Langeweile sterben darf, trat plötzlich ein Mann in die politische Arena mit dem Allerweltsnamen Schulz, um der ermüdeten und ermüdenden Dauerkanzlerin das ewige „weiter so“ streitig zu machen. Er wurde gefeiert als Lichtgestalt und Heilsbringer, der den  als undurchdringlich gewähnten „weißen Nebel wunderbar“ durchdringen und die von Niederlagen und Selbstzweifeln erschlaffte Genossenschar zu neuen Ufern führen würde. Der SPIEGEL ließ Schulz auf einem Titelblatt bereits als „Sankt Martin“ strahlen.
Mag sein, dass vielen Journalisten die permanente Verweigerungshaltung der Kanzlerin nach dem Motto „Ich sage nichts, das aber mit  Nachdruck“, überdrüssig geworden war. So erfrischend diese Phase, als hätte jemand die sprichwörtlichen Fenster geöffnet, auch war, sie währte nur kurze Zeit. Zyniker behaupten, man habe den Kandidaten nur deshalb so hochgejubelt, um die Fallhöhe selbst bestimmen zu können. Ohne Martin Schulz gravierende Fehler vorzuwerfen, war es jedenfalls schnell wieder vorbei mit der friendly-medialen Begleitung, wurde aus dem Wunderknaben der Bad Boy.
Als Oskar Lafontaine noch Sozialdemokrat war, sprach  er in vergleichbaren Situationen vom „Rudel-Journalismus“. Man muss diese Einschätzung nicht teilen. Auffällig bleibt der Gleichklang, mit dem ein medialer Chorus Mysticus den Gefeierten ins Tal der Tränen stieß. Wie oft die Berufsumfrager mit ihren Prognosen jüngst auch daneben lagen, sie unterfüttern nun die abwertenden Urteile.
Erfrischend ehrlich blies das Handelsblatt zur Attacke auf den Kandidaten: „DEUTSCHLAND WILL DEN WECHSEL… aber nicht mit Martin Schulz“. Das Blatt weiß, was es seinen Lesern schuldig ist. Anders die taz. Mit gespieltem Mitgefühl analysiert sie kalt einen  Mitleids-Malus, vermutet: „Nervöse Abstiegsangst“ und bescheinigt ihm immerhin: „eine ehrliche Haut“ zu sein. Die Rhein-Neckar-Zeitung macht ihn zum „Don Quichote“ und die „Zeit“ gibt sich besorgt: „Manchmal wirkt er so, als habe er die Niederlage schon eingepreist“. Auch wenn der Eindruck überwiegt, dass gegen Merkel, „die Unbesiegbare“, kein Blumentopf mehr zu gewinnen und die Niederlage des Martin Schulz unabwendbar sei, kommen nach all dem verschossenen Pulver nun dennoch Zweifel auf.
Plötzlich spricht die WELT von „Merkel, der planlosen Kanzlerin“, orakelt die FAZ: „Wirklich schon entschieden?“ Auch die Frankfurter Rundschau bescheinigt Merkel: „Sie macht fast jeden Quatsch mit“ und: „Niemand weiß, wofür sie steht“.
Doch während der STERN Martin Schulz schon einmal in Gestalt eines  Luftballons hat platzen lassen, im CICERO Bruder Martin neben der übermächtigen Angela zum Zwerg schrumpft, wird Wolfgang Schäuble im SPIEGEL zitiert, „dass die Wahl noch lange nicht gelaufen sei“. Deutlicher wurde Seehofer Ende Juli in einem WELT-Interview, „Wir haben noch genügend Zeit, die Wahl zu verlieren“. Die verbleibenden vier Wochen mit der Flut schönster Merkel-Fotos können lang werden. Entschieden ist noch gar nichts!

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Deutschlandfunk Kultur, „Fazit“, 14. Mai 2017
Nach der NRW-Wahl: „Martin Schulz hat Steherqualität“
Klaus Staeck im Gespräch mit Britta Bürger

NRW verloren, alles verloren? Der Grafiker Klaus Staeck sieht in der Wahlniederlage der SPD keine Vorentscheidung für den Bund. Auch Kanzlerkandidat Schulz werde sich durch das Wahlergebnis nicht beirren lassen, so der Ehrenpräsident der Akademie der Künste.
Er sieht die Gründe für die Wahlschlappe der SPD bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen vor allem in den Ängsten vieler Bürger vor Veränderung.
„Wir haben es schwer, weil wir immer etwas verändern wollen“, sagte Staeck im Deutschlandfunk Kultur. Allerdings gebe es derzeit in großer Zahl „verschreckte Bürger“, die sehr auf Sicherheit bedacht seien. „Da ist das Angebot, dass sich nichts ändert, allemal verführerischer.“
Eine Vorentscheidung für die Bundestagswahl will das langjährige SPD-Mitglied Staeck in der NRW-Wahl keinesfalls sehen. Auch sei Martin Schulz „natürlich“ das richtige Zugpferd. „Der hat auch eine Steherqualität. Der wird sich nicht beirren lassen jetzt durch dieses Landtagswahlergebnis.“
Staeck warnte gleichzeitig vor einer zu starken Fixierung auf Personen in der Politik: „Also, zur Entscheidung stehen dann doch noch immer Parteien. Und die Lichtgestalten, die wir dann auch immer in solchen Gesprächen uns wünschen, die gibt es nicht. Die sind auch, glaube ich, für die Demokratie nicht gut.“

Das Interview im Wortlaut:

Britta Bürger: Mit seinen politischen Plakaten mischt sich Klaus Staeck seit Jahrzehnten in die politischen Debatten ein. Auch als Präsident der Akademie der Künste hat er dies getan. Inzwischen ist er Ehrenpräsident.
Dass ihm dabei die politischen Inhalte der CDU und weiter rechts liegender Parteien am meisten zum Widerspruch aufrufen, ist offensichtlich. Wie es dem jahrelangen SPD-Mitglied am heutigen Wahlabend geht, das fragen wir ihn selbst. Guten Abend, Herr Staeck!

Klaus Staeck: Guten Abend, Frau Bürger!

Bürger: Sie mischen sich seit Jahrzehnten in politische und gesellschaftliche Debatten ein. Gibt es in Ihrem Postkarten- und Plakatearchiv eine Arbeit, die zur heutigen Lage passt?

Staeck: Nein, ich bin keiner, der für die Tagespolitik arbeitet. Also das ist manchmal auch das Dilemma, dass meine Plakate, die teilweise 30, 40 Jahre alt sind, leider ihre Gültigkeit behalten. Das stimmt mich manchmal nicht froh für die Politik, die wir alle miteinander machen.

„Es wird sich nichts ändern“ – ein verführerisches Angebot

Bürger: Das Ergebnis ist für SPD und Grüne deutlich schlimmer als erwartet. Die SPD hat ihr historisch schlechtestes Ergebnis in Nordrhein-Westfalen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat umgehend alle politischen Ämter niedergelegt. Warum hat es die SPD derzeit so schwer?

Staeck: Tja, wenn ich diese Frage beantworten könnte, dann wäre ich vielleicht ein Anwärter auf ein höheres Parteiamt, was ich nicht habe. Wir haben es schwer, weil wir immer etwas verändern wollen, und der verschreckte Bürger, den es in großer Zahl gibt, verschreckte Bürgerinnen, die doch sehr auf Sicherheit bedacht sind, und da ist das Angebot, dass sich nichts ändert, allemal ein verführerisches, und wenn dann noch alle Angst haben um die innere Sicherheit, dass möglichst nicht eingebrochen wird, dass alles wunderbar läuft, dann sind wir doch eine Partei, die den Leuten sagt, Leute, wenn alles so bleibt, wie es ist, dann wird es ein böses Ende nehmen, und das ist nicht unbedingt ein attraktives Angebot.

Bürger: Die Linke fliegt wohl raus, die AfD kommt aus dem Stand auf sieben Prozent. Es könnte zu einer schwarz-gelben Koalition kommen. Was bereitet Ihnen mit Blick jetzt auf dieses Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen am meisten Sorgen?

Staeck: Na ja, dass bestimmte Dinge, vor allen Dingen durch die FDP, die soziale Sicherheit, die ja auch die Leute sehr, sehr ernst nehmen, zu Recht, dass die ein bisschen unter die Räder kommt. FDP steht nicht unbedingt für soziale Themen, schon mal gar nicht auch das Thema Bildung, was ja eine große Rolle spielt. Die wird große Mühe haben, die CDU mit der FDP.

„Keine Vorentscheidung für den Bund“

Nicht dass ich ihr das gönne, aber natürlich habe ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht, aber ich glaube, der Hauptkampf im Augenblick – ich sage mal bewusst –, der Kampf wird darum gehen, diese Niederlage, die wir nun mal eingefahren haben, vor allen Dingen Martin Schulz anzuhängen, obwohl gerade Frau Kraft darum gebeten hatte, dass sich die Bundespolitik, die Bundes-SPD, nicht in den Landtagswahlkampf einmischt, denn es bleibt dabei: es war eine Landtagswahl.

Bürger: Okay, das wird nun trotzdem als Tiefschlag für Martin Schulz gewertet. Halten Sie ihn denn tatsächlich für das richtige Zugpferd?

Staeck: Ja, natürlich. Ich kenne ihn erst mal sehr lange, und Sie wissen ja, Sozialdemokraten gehen mit den eigenen Leuten nicht immer sehr pfleglich um – das ist eine besondere Art im Umgang miteinander – aber er hat auch eine Steherqualität. Also der wird sich nicht beirren lassen jetzt durch dieses Landtagswahlergebnis, und es ist auch keine Vorentscheidung für den Bund.

Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit Herrn Seehofer so übereinstimme. Sie kennen doch den Sender „Phoenix“: Da gibt es immer so eine Laufschrift unten. Da wurde eingeblendet: Seehofer, der NRW-Sieg der CDU, CDU ist noch keine Vorentscheidung für den Bund. Da bin ich voll mit ihm einverstanden.

Warnung vor zu großer Personenfixierung

Bürger: Nun gibt es aber auch Leute, die sagen, die SPD bräuchte vielleicht mal so einen klugen, jungen Politikertypus wie Emmanuel Macron, der erst mal parteilos war.

Staeck: Na ja, aber der hat keine Partei. Also wir jubeln nur wieder den hoch, Heilsbringer wird da auch schon wieder genannt wie seinerzeit Martin Schulz, aber wie wollen Sie denn das machen, ohne eine Basis letztlich. Da dienen sich jetzt alle möglichen Leute in Frankreich an, um mit ihm sowas wie eine Partei zu gründen und die man nun mal braucht für das Parlament. Nein, ich bin mit dem Martin Schulz zufrieden. Immer muss es mehr sein. Alle sagen ja, wo bleibt er, er muss mehr liefern. Gut, das müssen wir alle miteinander tun.

Ich bin überhaupt nicht jemand, der so auf Personen fixiert ist. Also zu Entscheidung stehen dann doch noch immer Parteien, und die Lichtgestalten, die wir dann immer gerne in solchen Gespräche auch wünschen, die gibt es nicht, und die sind auch, glaube ich, für die Demokratie nicht gut.

Bürger: Sie haben ja nie direkt im Auftrag der SPD gearbeitet, also keine Kampagnen oder ähnliches gestaltet, aber Sie nehmen wahrscheinlich die Slogans und Plakate doch besonders intensiv wahr. Hatte die CDU mit dem Slogan „Uns reicht’s“ vielleicht einfach auch die bessere Kampagne im Vergleich zur SPD mit diesem Slogan „NRWir“, der jetzt auch sehr stark als Wohlfühlwahlkampf kritisiert wird?

„Ansporn, noch eine Schippe draufzulegen“

Staeck: Ich habe eine ganz andere Form, mich einzumischen – das haben Sie ja schon angedeutet –, aber ich habe auch wieder mit Freunden eine Wählerinitiative für den Bund gegründet, und die läuft gar nicht schlecht. Also ich gehöre nicht zu den Leuten, die jetzt irgendeinem Ergebnis hinterher jammern. Es wäre schöner gewesen, wenn es nun anders ausgegangen wäre. Nein, für mich ist das ein Ansporn, noch eine Schippe draufzulegen, um das salopp auszudrücken. Nein, ich überlege schon, wie kann man Martin Schulz, meiner Partei, auch außerhalb dieses reinen Parteienspektrums, ich sage mal ganz bewusst altmodisch: dienlich sein, und vertrauen Sie mal auf die alten Kämpfer. Ich kenne einige, die da noch mitziehen, und das wird ein spannender Wahlkampf. Noch mal mit Herrn Seehofer: entschieden ist gar nichts.

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„Aktion für mehr Demokratie“ hatte einen Stand auf dem „Vorwärts“-Fest 2017 am 29. Mai in der Berliner Kulturbrauerei. Hier die Fotos.