Kolumne in der Berliner Zeitung (unter dem Titel „Nach dem Glyphosatangriff“) und in der Frankfurter Rundschau am 30.11.2017
Wenn Sie diese Zeilen am heutigen Donnerstag lesen kann vielleicht alles schon ganz anders sein. Angela Merkel hat sich, schmollend die Finger zur Raute geformt auf die Kanzlerschaft einer Minderheitsregierung zurückgezogen. Horst Seehofer ist froh, dass ihm bereits ein attraktives Ministeramt in Berlin in Aussicht gestellt wurde, um der Schmach des endlosen Nachfolge-Geschachers in Bayern entgehen zu können. Und die SPD-Spitze hat jede konkrete Aussage über die Art und Weise der Duldung nicht auf die lange Bank aber wenigstens auf die Zeit nach dem Parteitag verschoben, weil Delegierte und Mitglieder auch noch ein Wort mitzureden haben.
Aber vielleicht geht auch alles ganz schnell im Schloss Bellevue, unter der Autorität des Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier, den Angela Merkel doch so ungern in dieses Amt kommen sah, und schon am Abend stehen alle Signale für die nächste Groko auf Grün.
Doch dazu fehlen mir Glauben und Phantasie. Ich hoffe auf ein gründliches Abwägen aller Argumente, weil sich mir einen Satz aus dem Rede- und Schreibschwall aller zuständigen Kommentatoren seit dem Jamaika-Ende eingeprägt hat. Angesichts der Stimmenverluste für die SPD nach jeder großen Koalition und der Aussicht auf mögliche 15% nach einem neuerlichen Versuch, schrieb der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann: „Man kann eine Partei nicht auffordern, sehenden Auges Selbstmord zu begehen.“
Ich lasse mir jedenfalls meinen Respekt vor dem couragierten Wahlkämpfer Martin Schulz von niemandem ausreden. Was ist nicht alles in den letzten Tagen über ihn geschrieben worden, welche Kübel wurden da ausgeleert! Als ob nicht Lindners FDP-One-man-show mit feistem Kalkül den Bettel hingeschmissen hätte sondern einzig die SPD Schuld und Verantwortung trüge, hatten die meisten Autoren in den Kommentarspalten sofort den Kopf von Schulz auf die Zielscheibe geklebt.
Herr Bosbach beschwor in der BILD den Verrat an Willy Brandt, im gleichen Blatt diagnostizierte „Post von Wagner“ der SPD zwar ein „kardiologisches Erdbeben“ hart am Exitus aber Schulz habe nun „das Schicksal Deutschlands in der Hand“. Der Focus bemühte gar einen Körpersprachenexperten, der dem Delinquenten nachweisen wollte, sein Blick „tendiere in Richtung Boden – die Augenlider oft nur auf Halbmast“, das Aufgeben bereits signalisierend. Und der Forsa-Chef Güllner wird mit dem Extrakt wissenschaftlicher Meinungsforschung zitiert: „Bei der SPD herrscht kollektiver Irrsinn.“ Schließlich folgt noch die Empfehlung des Siemens Job-Abwicklers, der sich jegliche Einmischung der Politik in die Praxis der Profitmaximierung verbietet, die SPD möge doch das „u“ in „Schulz“ gegen ein „o“ austauschen. Wer all das jeden Tag über sich lesen muss, braucht starke Nerven und er braucht vor allem die Unterstützung von Freunden, mögen darunter auch „Parteifreunde“ sein.
Ein Zitat müssen Sie noch ertragen: „Es zeugt von mangelndem demokratischem Verständnis, sich beleidigt in die Schmollecke zu verziehen und sich der Regierungsverantwortung zu entziehen.“ Das Redaktionsnetzwerk Deutschland hat diese goldenen Worte des CSU-Vize und immer noch Landwirtschaftsminister Christian Schmidt vorige Woche notiert. Inzwischen hat derselbe mit seiner Glyphosat-Provokation die unübersehbare Probe auf das demokratische Verständnis einer potentiellen Koalitionspartei abgeliefert, während Martin Schulz noch mit aller Vorsicht die Bereitschaft für bevorstehende Gespräche mit den Unionsparteien signalisierte.
Die Kolumne erschien zeitgleich in der Berliner Zeitung (unter dem Titel „Nach dem Glyphosatangriff“) und in der Frankfurter Rundschau.