Rechtsextreme in Chemnitz
Die Beschwörung des Unheils schwächt mehr, als dass sie Kräfte freisetzt. Demokraten müssen sich dafür einsetzen, dass braune Grenzen nicht überschritten werden. Kolumne vom 6.9.2018.
Um es gleich zu sagen: Ich bin in Sachsen geboren, in der Pfefferkuchenstadt Pulsnitz bei Dresden, aufgewachsen in Bitterfeld. Sachsen und Sachsen-Anhalt – bis zu meiner Flucht mit 18 in die Bundesrepublik. Beide stehen inzwischen wegen allzu vieler rechtsradikaler Umtriebe unter Beobachtung. Schon als entschiedener Anhänger der wehrhaften Demokratie widerspreche ich den Vorverurteilungen – und das nicht nur aus Verbundenheit mit der „alten Heimat“.
Die ständige Beschwörung des Unheils schwächt mehr, als dass sie Kräfte zur Bekämpfung des Übels freisetzt. Ich kenne Chemnitz mit seinem Theater, seinen hervorragenden Kunstsammlungen, die dank engagierter Bürger weit über die Stadt hinaus einen Namen haben. Es ist diese Zivilgesellschaft, die es gegen die Barbarei zu verteidigen gilt.
Auch wenn das Bild des kabarettreifen Deutschland-Hutbürgers von Dresden schon Graffitti-Status erreicht hat, die Hitlergrüße und nackten Hintern rechter Hooligans in Sichtweite des Chemnitzer Marx-Kopfs weltweit verbreitet wurden – Sachsen ist nicht der gefallene Freistaat, wie es gerade von vielen Seiten dröhnt. Es gibt keinen Grund, mit der Keule wohlfeiler Selbstgerechtigkeit auf „die Sachsen“ einzuschlagen. Wer unterstellt, sie würden allesamt den Parolen von AfD, Pegida und dem rechten „Pro Chemnitz“ hinterherlaufen, der zündelt auf gefährliche Weise.
Ich habe den Verdacht, dass wir dabei sind, das Konzept der AfD-Strategen mit Leben zu erfüllen. Das Mobilisierungsmedium Internet sorgt dafür, dass sich unterschiedliche Gruppen auf kurzem Wege organisieren und Stimmungen schnell in Taten umschlagen können. Die Aufforderung des AfD-Bundestagsabgeordneten Frohnmaier zur Bürgerpflicht des Selbstschutzes gegen die „todbringende Messermigration“, wenn „der Staat die Bürger nicht mehr schützen“ könne, lässt sich nur als als Ermunterung zur Selbstjustiz interpretieren. Wer bisher noch auf das Gewaltmonopol des Staates vertraute, sollte wissen, dass diese Partei etwas anderes im Schilde führt.
Man mag mich für arglos halten angesichts zu vieler rechtsradikaler, rassistischer, gewaltbesoffener Ausschreitungen, die auf der sächsischen Landkarte Jahr für Jahr markiert werden mussten, wenn ich daran festhalte, dass mein Vertrauen in die Kraft der Vernunft noch nicht erschüttert werden konnte. Ich glaube nicht daran, dass die Feinde der liberalen Demokratie wie der Pro-Chemnitz-Funktionär, dem der Schulterschluss mit dem Orbanregime näher liegt als der Schutz des deutschen Rechtsstaats, von der Mehrheit der sächsischen Bürger auf Dauer toleriert wird. Irgendwann muss auch dem sogenannten einfachen Mann auf der Straße ein Licht aufgehen, dass die vermeintliche „Alternative für Deutschland“ nichts als ein Spuk ist, aber einer, der nicht von selbst verschwinden wird.
Wenn schon im „FAZ“-Feuilleton mit Blick auf die Auseinandersetzungen in Chemnitz und die rechtsradikalen Pöbler von „Gesindel“ die Rede ist und „Bild“-Fahndungsfotos von Kerlen mit Hitlergruß veröffentlicht werden, muss die Lage ernst sein, aber nicht hoffnungslos. Kaum noch widersprochen, hat der Begriff „Mob“ Hochkonjunktur.
Hoffnung machen mehr als 65.000 Demonstranten unter dem Motto „Wir sind mehr“. Sie haben Flagge gezeigt für Demokratie und Rechtsstaat, damit braune Linien nicht mehr überschritten werden. Ich habe übrigens meine nächste Reise nach Chemnitz fest terminiert, denn nichts ist erledigt.
Die Kolumne erschien am 6.9.2018 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.