Volksparteien können nicht genügend Wählerinnen und Wähler an sich binden. Auch die SPD steht angeblich vor dem Aus. Wirklich? Kolumne vom 1.11.2018.
Die Optimisten unter unseren Mitbürgern wollen das Ende oder den Rückzug Angela Merkels von ihren Ämtern eher frohgemut als Signal für einen Aufbruch nach dem Motto deuten: So viel Anfang war nie.
Es gibt verschiedene Methoden, der Demokratie zu Leibe zu rücken. Der Kampf um die Deutungshoheit über die Begriffe gehörte schon immer dazu. Lange Zeit wurde mit harten Bandagen um das reale oder vermutete Establishment gerungen, zu dem sich die Kombattanten als Schmähkritik wechselseitig die Zugehörigkeit attestierten.
Es gibt verschiedene Methoden, der Demokratie zu Leibe zu rücken. Der Kampf um die Deutungshoheit über die Begriffe gehörte schon immer dazu. Lange Zeit wurde mit harten Bandagen um das reale oder vermutete Establishment gerungen, zu dem sich die Kombattanten als Schmähkritik wechselseitig die Zugehörigkeit attestierten.
Meinungsforscher Stephan Grünewald spricht im Interview über die Konsequenzen von Kanzlerin Merkels Stillhalte-Politik.
Vor allem die im Definitionssinne selbst Etablierten warfen den vermeintlichen anderen Etablierten im Kampfmodus vor, es zu sein – und damit nicht mehr zukunftsfähig. Denn darum geht es im Kern. Es ist dabei völlig irrelevant, woran man dieses Negativattribut eigentlich misst.
Nachdem das Establishment als Keule langsam ausgedient hat, soll es den Volksparteien an den Kragen gehen, soll ihnen als Auslaufmodell der Gnadenschuss gegeben werden. Als hätte es die unheilvolle Zersplitterung der Parteienlandschaft in der Weimarer Republik nie gegeben, überbieten sich die Medien in der Demontage der „Altparteien“. In immer neuen Varianten wird ihr nahes Ende heraufbeschworen. Es ist mal wieder die große Stunde der Politikwissenschaftler, die uns mit immer neuen Redewendungen – mal schrumpfen, mal erodieren, mal dahinschwinden – das Gruseln lehren wollen.SPD: „Die Geier kreisen schon“
Verwegen titelte die FR am Tage nach der Hessenwahl: „Eine Volkspartei in Todesangst“. Es ging um die SPD. Wie bin ich doch beim Lesen dieser Headline erschrocken. Habe ich irgendetwas verpasst, weil ich mich als langjähriger Sozi so gar nicht in politischer Todesnähe wähne?
Nachdenklich wurde ich, als auch die „Süddeutsche Zeitung“ versuchte, mich mit einem Bild zu ängstigen, das ich gut aus alten Wildwestfilmen kenne. Eine Constanze von B. bescheinigte der siechen SPD: „Die Geier kreisen schon.“ Weiter hinten im Münchner Regionalteil versuchte ein Schreiber in einer Mischung aus schlechter Satire, Häme und gespieltem Mitleid die „alte Tante“ zum „alten Möbel“ zu machen, „von dem man sich scheut, es zum Sperrmüll zu schleppen“.
Haben Madame Tussauds oder das Gruselkabinett des Doktor Caligari Pate gestanden, als sich all die besorgten Redakteure über den Istzustand der SPD ihre Gedanken machten? Die „Rhein-Neckar-Zeitung“ legte noch eine Schippe drauf, als sie den überetablierten Meinungsbefrager Manfred G. zur Lage des Wahlvolkes interviewte.Grüne zur Volkspartei promoviert
Einem Todesengel gleich raunte dieser mit gespielter Sorge: „Bei der SPD muss man wirklich befürchten, dass sie bald am Ende ist.“ Wirklich? Na, hoffentlich verpasse ich am Ende nicht das vom Umfrage-Guru geweissagte Begräbnis samt Leichenschmaus mit Pellkartoffeln und Quark.
Als die Grünen nach ihren jüngsten Wahlerfolgen öffentlich zur Volkspartei promoviert werden sollten, wehrten sie – bedingt abwehrbereit – diese Beförderung schlau ab. Schließlich schaffen sie es schon seit geraumer Zeit, sich einem staunenden Publikum auf immer und ewig als Start-up-Unternehmen zu verkaufen.
Um die anschwellende Angst der sozialdemokratischen Leser der SZ nicht ins Unermessliche zu steigern, beruhigte die Edelfeder Heribert P. auf der Meinungsseite die Gezausten: „Man sollte auf das Wort ‚Volkspartei‘ verzichten. Es besagt nichts mehr. Alle Parteien sind heute Volksparteien. Das ist nicht der Untergang der Demokratie.“ Na, Gott sei Dank.
Vor allem die im Definitionssinne selbst Etablierten warfen den vermeintlichen anderen Etablierten im Kampfmodus vor, es zu sein – und damit nicht mehr zukunftsfähig. Denn darum geht es im Kern. Es ist dabei völlig irrelevant, woran man dieses Negativattribut eigentlich misst.
Nachdem das Establishment als Keule langsam ausgedient hat, soll es den Volksparteien an den Kragen gehen, soll ihnen als Auslaufmodell der Gnadenschuss gegeben werden. Als hätte es die unheilvolle Zersplitterung der Parteienlandschaft in der Weimarer Republik nie gegeben, überbieten sich die Medien in der Demontage der „Altparteien“. In immer neuen Varianten wird ihr nahes Ende heraufbeschworen. Es ist mal wieder die große Stunde der Politikwissenschaftler, die uns mit immer neuen Redewendungen – mal schrumpfen, mal erodieren, mal dahinschwinden – das Gruseln lehren wollen.SPD: „Die Geier kreisen schon“
Verwegen titelte die FR am Tage nach der Hessenwahl: „Eine Volkspartei in Todesangst“. Es ging um die SPD. Wie bin ich doch beim Lesen dieser Headline erschrocken. Habe ich irgendetwas verpasst, weil ich mich als langjähriger Sozi so gar nicht in politischer Todesnähe wähne?
Nachdenklich wurde ich, als auch die „Süddeutsche Zeitung“ versuchte, mich mit einem Bild zu ängstigen, das ich gut aus alten Wildwestfilmen kenne. Eine Constanze von B. bescheinigte der siechen SPD: „Die Geier kreisen schon.“ Weiter hinten im Münchner Regionalteil versuchte ein Schreiber in einer Mischung aus schlechter Satire, Häme und gespieltem Mitleid die „alte Tante“ zum „alten Möbel“ zu machen, „von dem man sich scheut, es zum Sperrmüll zu schleppen“.
Haben Madame Tussauds oder das Gruselkabinett des Doktor Caligari Pate gestanden, als sich all die besorgten Redakteure über den Istzustand der SPD ihre Gedanken machten? Die „Rhein-Neckar-Zeitung“ legte noch eine Schippe drauf, als sie den überetablierten Meinungsbefrager Manfred G. zur Lage des Wahlvolkes interviewte.Grüne zur Volkspartei promoviert
Einem Todesengel gleich raunte dieser mit gespielter Sorge: „Bei der SPD muss man wirklich befürchten, dass sie bald am Ende ist.“ Wirklich? Na, hoffentlich verpasse ich am Ende nicht das vom Umfrage-Guru geweissagte Begräbnis samt Leichenschmaus mit Pellkartoffeln und Quark.
Als die Grünen nach ihren jüngsten Wahlerfolgen öffentlich zur Volkspartei promoviert werden sollten, wehrten sie – bedingt abwehrbereit – diese Beförderung schlau ab. Schließlich schaffen sie es schon seit geraumer Zeit, sich einem staunenden Publikum auf immer und ewig als Start-up-Unternehmen zu verkaufen.
Um die anschwellende Angst der sozialdemokratischen Leser der SZ nicht ins Unermessliche zu steigern, beruhigte die Edelfeder Heribert P. auf der Meinungsseite die Gezausten: „Man sollte auf das Wort ‚Volkspartei‘ verzichten. Es besagt nichts mehr. Alle Parteien sind heute Volksparteien. Das ist nicht der Untergang der Demokratie.“ Na, Gott sei Dank.
Die Kolumne erschien am 1.11.2918 in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau.