23. Dezember 2021
Die militärische Lage an der ukrainisch-russischen Grenze hat sich in den letzten Wochen dramatisch zugespitzt und eine Lösung ist nicht in Sicht. Wir sind äußerst besorgt, dass es zu einer weiteren Eskalation kommen wird, die zu einem Krieg führen kann, sei es durch einen unprovozierten, militärischen Zwischenfall, sei es durch präventive Aktionen. Ziel der europäischen Diplomatie muss es sein, einen Krieg um die Ukraine zu verhindern und mittelfristig die tieferliegenden europäischen Sicherheitsprobleme zu lösen. Russland hat massive Truppenverbände an der ukrainischen Grenze zusammengezogen. Die Androhung und der Einsatz von militärischer Gewalt zur Durchsetzung politischer Zwecke ist zu verurteilen.
Die NATO ist besorgt über den „ungerechtfertigten russischen Militäraufbau“ hat aber keine Vorschläge für eine Lösung der Krise vorgelegt, stattdessen wird die militärische Einsatzbereitschaft erhöht. Ein Stopp des militärischen Aufmarsches und ein Verzicht auf die Stationierung von neuen Waffensystemen ist zurzeit nicht in Sicht, eine weitere Eskalation vorprogrammiert. Auch das Telefonat zwischen dem russischen Präsidenten Putin und U.S. Präsident Biden, hat zu keiner Beruhigung der Lage geführt. Ein Vorschlag des russischen Außenministeriums für vertragsgebundene Sicherheitsgarantien, wurde von vielen Stimmen im Westen zurückgewiesen ohne wichtige Elemente z.B. künftige Rüstungskontrollregelungen aufzunehmen. Putin spricht seinerseits von „harten militärisch-technischen Antworten“. Militärische Drohungen sind zu verurteilen und die russische Seite muss ebenfalls zu diplomatischen Lösungen zurückkehren. Ein Krieg der Worte und die Erhöhung der Einsatzbereitschaft und neue Truppenbewegungen tragen nur zur Erhöhung der Spannungen, statt zu einer Deeskalation bei. Der Westen hat bisher nicht erkannt, wie zentral die Lage um die Ukraine für Russland ist. In dieser Situation müssen mehr Schritte unternommen werden, um einen Flächenbrand zu verhindern. Deutschland als wichtiges NATO-Mitglied und damit die neue Bundesregierung ist hier besonders herausgefordert.
Wir schlagen folgende Schritte vor:
1. Wir unterstützen die Forderungen des SPD Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der mit Recht direkte Verhandlungen der NATO mit Russland auf der Basis eigener Vorschläge anmahnt, um gangbare Auswege aus der gegenwärtigen Krise zu finden und die aktuelle Eskalationsspirale zu beenden. Der Vorschlag für allgemeine vertrauens- und transparenzbildende Maßnahmen alleine reicht hierfür bei weitem nicht mehr aus. Ein Stopp des militärischen Aufmarsches und ein überprüfbares Moratorium für die Stationierung neuer Waffensysteme ist sofort nötig. Deutschland und Frankreich müssen mehr in den Lösungsmechanismus des Normandie-Formats investieren.
2. Der bevorstehende NATO-Russland-Dialog muss unmittelbar genutzt werden, um die angespannte Lage zu entschärfen. Zu diesem Zweck sollte der Beschluss gefasst werden, die Verbindungsmission zwischen der NATO und Russland wiederzueröffnen. Dieser Mechanismus muss reaktiviert und genutzt werden, um in einem kontinuierlichen und strukturierten Dialog eine stabile Kooperation im Hinblick auf die tiefliegenden und komplexen Probleme der europäischen Sicherheit zu ermöglichen und neues Vertrauen zu schaffen. Verhandlungen über einen Neuansatz für europäische Rüstungskontrolle müssen vorbereitet werden.
3. Ziel muss es sein, Russland und die NATO in einen kontinuierlichen Diskussionsprozess auch auf höchster Ebene einzubinden. Neben der unmittelbaren Bedrohung für die Ukraine, die kein NATO-Mitglied ist, geht es um zentrale, zukünftige Fragen der europäischen Sicherheit, um künftige Rüstungsspiralen zu vermeiden und eine gesamteuropäische Friedensordnung nicht aus dem Auge zu verlieren. Mehr Transparenz und Berechenbarkeit ist nötig, so könnte der aufgekündigte Open Skies Vertrag sofort wiederbelebt werden, um wechselseitige Inspektionen über Truppenbewegungen und Großmanöver durchzuführen. Die Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle müssen mittelfristig wiederaufgenommen werden.
4. Wir unterstützen die Vorschläge von ehemaligen, erfahrenen Diplomaten, Ex-Generälen, und Wissenschaftlern, eine hochrangige Konferenz vorzubereiten und durchzuführen, die auf der Grundlage der fortbestehenden Gültigkeit der Helsinki Schlussakte 1975, der Charta von Paris 1990 und der Budapester Vereinbarung 1994 eine Wiederbelebung und Erneuerung der zentralen Pfeiler einer stabilen europäischen Sicherheitsarchitektur beraten soll. Solange diese Konferenz tagt, sollte nachprüfbar auf jede militärische Eskalation, weitere Großmanöver und Stationierungen von Waffensystemen auf Seiten Russlands und der NATO verzichtet werden. Diese Verhandlungen, die auch verbindliche Sicherheitsgarantien beinhalten, dürfen nicht alleine den USA und Russland überlassen bleiben. Die Rolle der OSZE hat viel Erfahrungen im Bereich Krisenprävention und Konfliktmanagement sowie konventionelle Rüstungskontrolle und ihre Rolle sollte gestärkt werden.
Willy Brandts und Egon Bahrs Impulse für Gemeinsame Sicherheit und eine neue Ostpolitik basierten auf der Erkenntnis, dass die bloße Wiederholung von Formulierungen keine Fortschritte bringt und dass nur ein gut vorbereiteter Dialog und konzeptionelle Konsistenz Europas Sicherheit voranbringen kann. Dabei müssen auch Russlands Interessen Berücksichtigung finden. Die Sorgen der unmittelbaren Nachbarstaaten Russlands sind sehr berechtigt. Als NATO-Mitglieder genießen sie den Schutz des Washingtoner Vertrages. Allerdings entsteht daraus auch Verantwortung zur Lösung der aktuellen Krise beizutragen. Bezüglich Russland gehören auch ökonomische Kooperationsangebote und eine verstärkte, wirtschaftliche Zusammenarbeit dazu.
Für den Vorstand des Willy-Brandt-Kreises
Heidemarie Wieczorek Zeul,
Peter Brandt,
Daniela Dahn,
Hans Misselwitz,
Rainer Land,
Irina Mohr
und Götz Neuneck