Selten standen Umfang und Bedeutung einer Ausstellung so im Widerspruch wie die am 21. August im Bauhaus-Museum Weimar eröffnete Dokumentation zu MEMORIAL.
In der Mitte des einzigen Raums zeigen Tischvitrinen wenige erschütternde Zeugnisse des Überlebenswillens und des Alltags aus den Nachlässen von Häftlingen, die in der Zeit des Stalinregimes zu Millionen in Lager verbannt worden waren. Begleittexte erläutern das Wirken der 1989 gegründeten und 2021 per Gerichtsbeschluß liquidierten Gesellschaft, die sich seit den Perestroika-Zeiten der Erinnerung und der Mahnung widmete. MEMORIAL war die wichtigste Organisation, die landesweit die Verbrechen des Stalinismus und der Repression in der Sowjetunion aufarbeitete und nach Jahrzehnten des Verschweigens die Rehabilitierung der Opfer einklagte.
Seit Putin auch mit Menschenrechtsverletzungen und Geschichtsfälschungen sein Regime festigte, war MEMORIAL in Gefahr. Es kam zu bestellten Übergriffen durch rechte Schlägertrupps auf Büros und Archive. Aktivisten der Organisation wurden festgenommen und zu langen Haftstrafen verurteilt, bis schließlich das Verbot erfolgte, Ein Video zeigt, wie die Eingangstüren mit Handschellen verschlossen wurden. Ein weiteres, wie einem der Begründer von Memorial, Oleg Orlow, ebenso Handschellen angelegt wurden.
Die Texte der Ausstellung, die der ehemalige Leiter der Gedenkstätte Buchenwald Volkhard Knigge gemeinsam mit Irina Scherbakowa initiiert hat, sind des Studiums wert, will man sich mit einem ernüchternden Report über Repression und Widerstand von der frühen Sowjetunion bis in die Zeit der Putindiktatur informieren. Irina Scherbakowa, die sich nur durch Flucht ins Exil vor der drohenden Verfolgung retten konnte und Oleg Orlow, im Februar zu Straflagerhaft verurteilt, im August im Rahmen eines Gefangenenaustauschs befreit und ausgewiesen – beide konnten an dieser Ausstellungseröffnung im Weimarer Bauhausmuseum teilnehmen. Sie würdigten, welche Bedeutung diese Ausstellung für alle hat, die sich in Rußland nur noch unter größter Gefahr zu den Zielen von MEMORIAL und zu ihrer Zuversicht auf eine demokratische Veränderung bekennen können.
Es bleibt zu hoffen, dass die Ausstellung in Weimar und später in anderen Städten viele Besucher findet. Im Sinne der Aufklärung ist sie unverzichtbar.
„MEMORIAL – Das andere Russland“, Kolumne in der Frankfurter Rundschau vom 18.09.2024.