Can Dündar: „Die türkische Regierung will uns zum Schweigen bringen“

Auf die Ergreifung von Can Dündar wurde ein Kopfgeld von 25.000 Euro ausgesetzt: „Es gibt keinen sicheren Ort für die Gegner von Erdogan“

Anfang Januar 2013 wurde bekannt, dass der im deutschen Exil lebende türkische Journalist Can Dündar von der Erdogan-Regierung auf eine Terrorliste gesetzt wurde, um ihn international zu jagen. Aus einem Artikel, den er für ZEIT ONLINE schrieb:

Der türkische Innenminister hatte meinen Namen auf die Liste der meistgesuchten Terroristen des Landes gesetzt, zusammen mit einem Foto, das ich vor etlichen Jahren einmal mit dem Antrag auf einen Reisepass eingereicht hatte.

Mein „Verbrechen“ besteht darin, dokumentiert zu haben, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan über seinen Geheimdienst heimlich Waffen an Dschihadisten in Syrien geliefert hatte. Diese Meldung wurde von zahlreichen internationalen Presseorganisationen aufgegriffen, brachte mir in der Türkei eine Haftstrafe von siebenundzwanzigeinhalb Jahren ein, eine Zeit lang Einzelhaft, ein fehlgeschlagenes Attentat auf mich, anschließend die Konfiszierung meines gesamten Hab und Guts – und hatte letztlich mein Exil zur Folge. Erdoğan aber schien all das nicht zu reichen. Nachdem der Bericht erschienen war, erklärte er: „Er wird einen hohen Preis dafür bezahlen.“ Um dieses Versprechen zu halten, nennt er mich jetzt einen Terroristen und stellt für die Unterstützung zu meiner Ergreifung eine Belohnung von 500.000 Lira in Aussicht, umgerechnet rund 25.000 Euro.

Es ist, als stünde die Türkei weniger vor einer Präsidentschaftswahl als vielmehr vor einem Kampf auf Leben und Tod. Den Informationskrieg im Vorfeld dieser vorgezogenen Wahlen, die voraussichtlich Ende April stattfinden werden, versucht Erdoğan mit seiner Menschenjagd noch zu verhindern. Er hat so viele Personen, die gegen ihn opponieren, ungünstig über ihn berichten oder Informationen durchstechen, zu Terroristen erklärt, dass die Anzahl der Terrorverdächtigen mittlerweile auf fast zwei Millionen geschätzt wird. Das macht die Türkei inzwischen zum Land mit der größten Anzahl an Terroristen auf der Welt. Natürlich gibt es keine Überzahl an Terroristen, sondern es gibt Erdoğans Terrorismusdefinition. Das sorgt nicht nur in der Türkei für Debatten, sondern auch in zahllosen Ländern, in Deutschland, Schweden, Finnland und auch in der Ukraine.

Hier finden Sie den vollständigen Text in ZEIT ONLINE.

Aufruf Für Eure und für unsere Freiheit!

Aufruf zur Demonstration am Sonntag, 6. März, 14 bis 17 Uhr, auf dem Berliner August-Bebel-Platz

Wir können nicht länger warten. Seit dem frühen Morgen des 24. Februar 2022 führt Putin Krieg gegen die unabhängige Ukraine und ihre Bevölkerung. Soldaten und Panzer dringen ins Land vor. Putin lässt Städte mit Raketen und Bomben beschießen. Die Etappen seiner Kriegsführung sind aus der Geschichte bekannt: Belagerung, Zerstörung, Vernichtung. Wir kennen sie von Grosny und Aleppo.

Putins Angriff auf die Ukraine ist der Angriff auf ein Land, das geschichtlich, sprachlich, kulturell ein Europa im Kleinen ist. Selbstverständlich zweisprachig und multikonfessionell. Kiew, Odessa, Lemberg, Charkiw sind europäische Metropolen, die alle Katastrophen des 20. Jahrhunderts, zuerst die des Stalinismus, dann die der deutschen Herrschaft überlebt haben. Nun sind der Krieg und der Terror in die Ukraine zurückgekehrt.
Die Wahrheit über diesen Krieg kommt trotz Zensur und Propaganda inzwischen auch in Russland an. Die Bilder von den Bombeneinschlägen im Zentrum von Charkiw, von den Rauchwolken über den Wohnvierteln von Kiew, von den Toten und von den Millionen auf der Flucht.
Ob in Warschau, Paris, Sarajevo oder Berlin: Wir dürfen nicht schweigen. Wir müssen den Angegriffenen in Worten und Taten beistehen. Der Krieg ist zwei Flugstunden von Berlin entfernt. Wir müssen die Urheber der Kriegsverbrechen benennen. Wir dürfen den vor Gewalt und Krieg Fliehenden nicht unsere Hilfe verweigern.
Lasst uns unsere Sympathie und Solidarität mit dem Volk der Ukraine demonstrieren. Hören wir ihren Stimmen zu. Lassen Sie uns in Worte fassen, was wir im Augenblick der Not empfinden und über die Grenzen hinweg miteinander in Kontakt treten: analog und digital, mit Wort und Musik, im offenen Raum, im Zentrum Berlins. Im Kampf für Eure und für unsere Freiheit!
Es sprechen Swetlana Alexijewitsch, Karl Schlögel, Juri Andruchowitsch, Katja Petrowskaja, Jurko Prochasko, Martin Pollack, Kateryna Mishchenko
Für Musik sorgt DJ Yuiy Gurzhy.

Karl Schlögel, Gerd Koenen, Claus Leggewie, Katharina Raabe, Manfred Sapper, Ulrich Schreiber

Verantwortlich: Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik e.V. Berlin

Wir dokumentieren die Statements der Historiker und Publizisten Karl Schlögel und Martin Pollack, deren Bücher seit Jahren für Reisende in die Ukraine und nach Osteuropa unersetzliche Lektüre sind.

Die Rede von Karl Schlögel, er war Hochschullehrer in Konstanz und an der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Seine Forschungsschwerpunkte sind russische Moderne und Stalinismus, russische Diaspora und Dissidentenbewegung, Kulturgeschichte osteuropäischer Städte.

Die Rede von Martin Pollack, österreichischer Journalist, Schriftsteller und Übersetzer, schrieb u.a. über die Geschichte Galiziens und den autobiographischen Bericht über seinen Vater, den SS-Sturmbannführer Gerhard Bast, Chef der Linzer Gestapo und Kriegsverbrecher, Der Tote im Bunker.

Der ukrainische Germanist und Autor Jurko Prochasko war aus Lwiw/Lemberg zugeschaltet. In seiner Rede sprach er über den Großraschismus, eine Kombination aus Großrussentum und Faschismus: „Der Putinismus, der sich in diesen Tagen zur totalitären Diktatur entwickelt, gibt sich gern erratisch und vieldeutig, ist aber im Kern leicht auszumachen: chauvinistischer Imperialismus, völkischer Mystizismus, messianischer Größenwahn, eschatologischer Revanchismus, apokalyptischer und militaristischer menschen- und lebensverachtender Macht- und Führerkult, tiefste Verachtung für Recht und Freiheit und Selbstbestimmung.“

Die gesamte Veranstaltung auf Youtube.

PEN International verurteilt Putins Überfall auf die Ukraine

Nobelpreisträger, Schriftsteller und Künstler auf der ganzen Welt verurteilen Russlands Invasion in der Ukraine in einem beispiellosen Brief, der von über Tausend unterzeichnet wurde

PEN International, die Organisation für Literatur und freie Meinungsäußerung, hat einen von über 1000 Schriftstellern weltweit unterzeichneten Brief veröffentlicht, in dem sie ihre Solidarität mit Schriftstellern, Journalisten, Künstlern und dem ukrainischen Volk zum Ausdruck bringen, die russische Invasion verurteilen und ein sofortiges Ende des Blutvergießens fordern.

An unsere Freunde und Kollegen in der Ukraine,

Wir, Schriftsteller auf der ganzen Welt, sind entsetzt über die von russischen Streitkräften gegen die Ukraine entfesselte Gewalt und fordern dringend ein Ende des Blutvergießens.

Wir sind vereint in der Verurteilung eines sinnlosen Krieges, der von Präsident Putins Weigerung geführt wurde, das Recht des ukrainischen Volkes anzuerkennen, seine zukünftige Zugehörigkeit und Geschichte ohne Moskaus Einmischung zu diskutieren.

Wir stehen vereint zur Unterstützung von Schriftstellern, Journalisten, Künstlern und allen Menschen in der Ukraine, die ihre dunkelsten Stunden durchleben. Wir stehen dir bei und spüren deinen Schmerz.

Alle Menschen haben das Recht auf Frieden, freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit. Putins Krieg ist ein Angriff auf Demokratie und Freiheit, nicht nur in der Ukraine, sondern auf der ganzen Welt.

Wir stehen vereint im Aufruf zum Frieden und für ein Ende der Propaganda, die die Gewalt schürt.

Ohne eine freie und unabhängige Ukraine kann es kein freies und sicheres Europa geben.

Frieden muss herrschen.

Liste der über 1000 Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die den Brief bisher unterzeichneten.

Memorial in einem politischen Prozess liquidiert

Aktion für mehr Demokratie unterstützt die Gemeinsame Erklärung zur Zwangsauflösung von Memorial

Berlin, 28. Dezember 2021 – Das Oberste Gericht der Russischen Föderation hat heute die Zwangsauflösung von Memorial International wegen angeblicher Verstöße gegen das „Agentengesetz“ angeordnet. Dies ist ein schwerer Schlag für die russische Gesellschaft, die Gesellschaften seiner Nachbarstaaten und für ganz Europa. Memorial steht wie keine andere Organisation für ein offenes, menschenfreundliches, demokratisches Russland, das die Versöhnung innerhalb der eigenen Gesellschaft und mit seinen Nachbarn sucht. Seine von Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow vor drei Jahrzehnten begründete Arbeit der Auseinandersetzung mit der Repressionsgeschichte der Sowjetunion, der Rehabilitierung von Opfern und der Verteidigung der Menschenrechte heute hat Memorial weltweit viel Anerkennung und Respekt eingebracht. Auch für die deutsche Geschichtsforschung und Erinnerungspolitik hat Memorial als Initiator und Partner bei der Aufarbeitung des Schicksals Hunderttausender sog. „Ostarbeiter/innen“ die entscheidende Rolle gespielt. Die große internationale Bedeutung Memorials manifestiert sich in einer Vielzahl an Solidaritätsbekundungen aus aller Welt.

Mit dem Verbot von Memorial – dem moralischen Rückgrat der russischen Zivilgesellschaft – gibt der russische Staat ein erschütterndes Selbstzeugnis ab: Er bekämpft die Auseinandersetzung mit der eigenen Unrechtsgeschichte und möchte individuelle und kollektive Erinnerung monopolisieren. Er kriminalisiert die internationale zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zum Schaden des eigenen Landes. Und er verletzt die Grundwerte der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Russland selbst unterzeichnet hat.

Viele von uns sind mit Memorial seit mehr als 30 Jahren eng verbunden. So wie wir Memorial zu unterstützen versuchen, hat Memorial uns in diesen 30 Jahren unendlich viel Unterstützung zukommen lassen – wissenschaftlich, politisch, moralisch und menschlich. Memorial ist zu einer internationalen Gemeinschaft geworden, deren Arbeit für Demokratie, Menschenrechte und ehrliche Aufarbeitung von Geschichte auf jeden Fall fortgeführt wird.

Wir verurteilen das politisch motivierte Vorgehen der russischen Justiz gegen Memorial. Das Gerichtsverfahren hat die ganze Absurdität des Gesetzes über „ausländische Agenten“ schonungslos offengelegt. Die Intention des Gesetzes ist politische Repression, seine Ausführungsbestimmungen sind so diffus, dass es vom Geschmack der jeweiligen Anklagevertretung bzw. dem von ihr jeweils gerade verfolgten Zweck abhängt, ob Einhaltung oder Verstoß festgestellt wird. Wir fordern die Aufhebung des Agentengesetzes und aller weiteren russischen Gesetze, die jede Form internationaler zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit mit unabhängigen russischen Partner/innen unmöglich machen sollen.

Die Bundesregierung und die Europäische Union fordern wir auf, alles in ihren Möglichkeiten Stehende zum Erhalt der Arbeit und des Archivs von Memorial und zum Schutz seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu tun.

Heinrich-Böll-Stiftung

Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde

Deutsches PEN-Zentrum

Deutsch-Russischer Austausch e.V.

Europäischer Austausch gGmbH

Zentrum Liberale Moderne

Memorial Deutschland e.V.

Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora

Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Amnesty International Deutschland

Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung

Lew-Kopelew-Forum

 28. Dezember 2021

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Organisation Memorial muss gerettet werden!

Erklärung der Aktion für mehr Demokratie vom 21.11.2021

Die Menschenrechtsorganisation Memorial ist in ihrer Existenz bedroht. Auf Antrag der russischen Generalstaatsanwaltschaft soll das Oberste Gericht Russlands am 25. November 2021 die Auflösung von Memorial-International beschließen. (Das Gericht vertagte die Entscheidung mehrfach, zuletzt auf den 28.12.2021.) Zugleich soll ein Moskauer Gericht über den Fortbestand des Menschenrechtszentrums Memorial urteilen.

Memorial leistet seit seiner Gründung in der Periode der Perestroika eine für die Bürger Russlands und der ehemaligen Sowjetrepubliken verdienstvolle und anerkannte Aufklärungsarbeit über stalinistische Verbrechen. Memorial dokumentierte über Jahrzehnte auch das Schicksal hunderttausender Menschen, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt wurden. 

Weil die Arbeit von Memorial unter anderem von der Soros-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung finanziell unterstützt wird, außerdem vom UNHCR und vom Europarat Hilfe erfährt, wurde die Menschenrechtsorganisation 2016 durch das russische Justizministerium auf die Liste der „ausländischen Agenten“ gesetzt.

Für den Fall einer Auflösung, der nun befürchtet werden muss, geraten die in Archiven und Bibliotheken gesammelten Dokumentationen, die Opferkarteien und Aufzeichnungen von Häftlingen, Samisdat-Publikationen und der Verlag von Memorial in Gefahr, ausgelöscht zu werden.

Internationaler Protest muss dies verhindern!

Die Akademie der Künste in Berlin, deren Präsident ich über drei Wahlperioden war, hat mehrfach Sergej Kowaljow eingeladen. Der im August dieses Jahres verstorbene Menschenrechtsaktivist vertrat mehrere Jahre Memorial im russischen Parlament. Kowaljow wie zuvor auch Lew Kopelew haben mit ihren Reden in der  Akademie im Geist der europäischen Verständigung immer an die deutsch-russische Verantwortung appelliert, die Erinnerung an die Verbrechen des Hitler- wie des Stalinregimes wachzuhalten. 

Russlands Behörden und der Staatsführung muss bewußt werden, welch immensen Schaden sie im Falle einer Auflösung von Memorial der russischen Zivilgesellschaft zufügen.

Ich schließe mich den Protesten von amnesty international und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. an und hoffe, dass die deutsche Außenpolitik alle diplomatischen Kanäle nutzt, um Memorial international und das Menschenrechtzentrum Memorial vor der Zerstörung zu bewahren.

Klaus Staeck

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Memorial geht auch uns an. Kolumne vom 16.12.2021 in der Frankfurter Rundschau.

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„Der russische Staat nimmt uns in Geiselhaft“ Podcast von MEMORIAL Deutschland mit Irina Scherbakowa“

Die Attacken gegen Memorial steigerten sich seit Jahren. Verleumdungen in den Medien, Übergriffe von radikalen Gruppen. Nun der vorübergehende „Höhepunkt“: der Antrag auf Auflösung von MEMORIAL international und dem MEMORIAL Menschenrechtszentrum. Im neuen Podcast von MEMORIAL Deutschland erklärt Irina Scherbakowa von MEMORIAL International den Hergang eines absurden Vorgangs, was eine Schließung für die Menschenrechte in Russland bedeuten würde und weshalb der Prozess vor allem auch ein Zeichen an den Westen ist.

Im Gespräch mit MEMORIAL Deutschland spricht Irina Scherbakowa von Folter gegen Andersdenkende und erhebt schwere Vorwürfe gegen den russischen Staat.“

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Frankfurter Rundschau, 24.11.2021 (online)

Memorial: „Wir werden weitermachen“

Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial soll aufgelöst werden, doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben ihren Kampf nicht verloren. Natalie Sablowski hat sie in Moskau besucht.

Gleich neben einem Moskauer Park, am nördlichsten Streifen des Gartenrings, steht ein neoklassizistischer Stalinbau aus den 1960er Jahren. Mit ihren heruntergelassenen Rollläden wirken die riesigen Fenster der Hausfront wie zwei geschlossene Augen. Das Gebäude sieht von außen leer aus. Doch Alexandra Poliwanowa öffnet von innen die Tür. Sie arbeitet seit zehn Jahren für Memorial. Die russische Menschenrechtsorganisation soll aufgelöst werden; die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihr vor, systematisch gegen das „Agenten-Gesetz“ verstoßen zu haben. An diesem Donnerstag findet der erste Gerichtstermin statt.

Alexandra Poliwanowa kuratiert das Memorial-Projekt Topographie des Terrors, das die stalinistischen Säuberungen in der Moskauer Region aufarbeitet. „Wenn mal nicht gerade eine Gruppe das Haus stürmen will, sind hier normalerweise nicht so viele Menschen im Haus“, scherzt sie und spielt damit auf einen Zwischenfall von vor wenigen Wochen an: Mitte Oktober stürmte eine Gruppe junger Menschen, alle vermummt, eine Filmvorführung im Memorial-Gebäude.

Wut, Trauer und Angst müssen in konstruktives Handeln umgewandelt werden

Der Eingangsbereich ist hell erleuchtet. In dem nach rechts und links weitverzweigten langen Flur, der die offenen Räume miteinander verbindet, führt eine Steintreppe nach oben. An den Wänden sind Ehrungen, Poster und wichtige Mitteilungen der vergangenen Jahre zu sehen; das Licht legt alles unter einen warmen Schleier. Seit der Gründung 1989 sammelt Memorial Quellen und vervollständigt stetig seine Datenbank mit den Namen politischer Gefangener und Ermordeter. Mit dem Ziel, dass sich die Schrecken des stalinistischen Terrors nicht wiederholen. Eine Mammutaufgabe, von der die Wände des Flurs erzählen. Menschen grüßen im Vorbeigehen und streifen geschäftig aneinander vorbei. Lachen hallt durch den Flur.

„Als der Brief des Obersten Gerichts ankam, war das im ersten Moment für uns alle ein Schock“, berichtet einer der Mitarbeiter, der sich hier um die Führungen kümmert. „Das gesamte Kollektiv kam zusammen und beriet über das weitere Vorgehen. Innerhalb von einer Stunde war klar, wir setzen jetzt ein Statement auf und bilden eine Task Force.“ Laut der Geschäftsführerin Jelena Schemkowa war es als nächstes wichtig, Gefühle wie Wut, Trauer oder Angst in konstruktive Handlungen umzuwandeln. „Wir konnten uns schnell fangen und zusammen halten.“

Memorial ist ein Teil der russischen Gesellschaft

Innerhalb kürzester Zeit standen mehrere Aktionen auf dem Plan. „Die Medienkampagne könnte natürlich intensiver sein“, sagt Alexandra Poliwanowa, die die Kampagne leitet, „Aber wir haben in Russland die Situation, dass nicht jeder sagen kann, was er über Memorial denkt.“ Die Kernbotschaft der Kampagne macht klar, Memorial ist keine juristische Organisation, die einfach zerstört werden kann. Memorial ist ein Teil der Gesellschaft.

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Appell an deutsche Außenpolitik

„Die Menschenrechtsorganisation Memorial leistet seit ihrer Gründung in der Periode der Perestroika eine für die Bürger Russlands und der ehemaligen Sowjetrepubliken verdienstvolle und anerkannte Aufklärungsarbeit über stalinistische Verbrechen. Memorial dokumentierte über Jahrzehnte auch das Schicksal Hunderttausender Menschen, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt wurden.
(…)
Für den Fall einer Auflösung (…)geraten die in Archiven und Bibliotheken gesammelten Dokumentationen, die Opferkarteien und Aufzeichnungen von Häftlingen, Samisdat-Publikationen und der Verlag von Memorial in Gefahr, ausgelöscht zu werden. Internationaler Protest muss dies verhindern!
(…)
Wir schließen uns den Protesten von Amnesty International und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. an und hoffen, dass die deutsche Außenpolitik alle diplomatischen Kanäle nutzt, um Memorial international und das Menschenrechtszentrum Memorial vor der Zerstörung zu bewahren.“

Klaus Staeck, Grafiker, Rechtsanwalt und FR-Kolumnist

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Alexandra Poliwanowa legt eine Handvoll Sticker mit einem großen „Wir“ in kyrillischen Lettern beiseite und setzt sich an ihren Schreibtisch. Das „Wir“ steht für Memorial. Künstlerinnen und Künstler boten ohne Honorar Logo-Designs und Illustrationen an. Vergangene Woche bestellte Memorial Tausende Merchandise-Produkte. Masken, T-Shirts und Aufkleber in unterschiedlichen Varianten sollen für Sichtbarkeit sorgen. Die Rückmeldung aus der Gesellschaft ist gewaltig. „Das berührt uns sehr und bestätigt Memorials gesamte Bedeutung für die Gesellschaft.“ Einige Kunstkritiker:innen und Kurator:innen stellen gerade zu Gunsten Memorials eine Ausstellung zusammen. Es soll sogar ein Festival geben. Ginge es nicht um das drohende Ende Memorials, könnte der Eindruck entstehen, das Zentrum feiere ein Jubiläum.

Derweil arbeitet ein Team von etwa zehn Anwältinnen und Anwälten an einer juristischen Strategie für die bevorstehende Gerichtssitzung am 25. November. Natajla Morosowa ist seit langem als Juristin für Memorial tätig. Das Team sei auf eine Vielzahl stümperhafter Fehler gestoßen. „Den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hat scheinbar ein Praktikant geschrieben. Niemand hat ihn korrigiert.“ Laut Natalja Morosowa sind wichtige Stellen im Antrag nicht ausformuliert. Vieles sei sogar grob hineinkopiert worden.

Die Zukunft von Memorial ist für die Aktivistin vorhersehbar

Trotz der schwerwiegenden Fehler nahm das Oberste Gericht den Antrag an. „Das ist ein eindeutiges Signal“, meint die Anwältin, „egal, was hier steht, das Oberste Gericht wird zu Gunsten der Generalstaatsanwaltschaft entscheiden. Wir haben in der Vergangenheit bereits ähnliche Verfahren beobachtet“. Natalja lacht. „Es wäre lustig, wäre es nicht so traurig.“

Für Jelena Schemkowa ist die Zukunft von Memorial vorhersehbar. „Die Auflösung einer NGO ist nach bestimmten Schritten geregelt. Sollte es zum Schlimmsten kommen, wissen wir ganz genau, was uns erwartet.“ Die Sammlung gehört komplett Memorial und kann der Organisation nicht weggenommen werden. Der größte Schlag wäre der Verlust der Räumlichkeiten, „aber dann finden wir eben neue“.

„Sollte das Gericht an diesem Donnerstag für eine Auflösung von Memorial entscheiden, gehen wir in unserem nächsten Schritt in die Berufung“, sagt die Anwältin. Damit sei es möglich, das Verfahren in der Schwebe zu halten. „Memorial verschwindet nicht einfach im Nichts.“ Wie das Urteil auch ausfällt, viele der Aktivitäten werden weitergeführt. Zum Beispiel werden die Exkursionen an die Orte des Terrors weiterhin stattfinden, zumal sich die Zahl der Besucher:innen in den vergangenen Wochen verdoppelt hat.

Die Stimmung im Memorial-Gebäude selbst ist positiv. Es herrscht extremer Zeitdruck. Aber niemand verzweifelt daran. Es fühlt sich an, als verbinde die Menschen etwas. Etwas, das unzerstörbar scheint und dem keine juristische Grundlage zur Weiterexistenz entzogen werden kann. Jelena Schemkowa ist überzeugt: „Memorial wird in einer anderen Form weiterleben. Sie können uns als Organisation auflösen, aber wir sind ein Kollektiv, und niemand kann uns an unserer bloßen Arbeit hindern. Wir werden weitermachen.“

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Deutschlandfunk, Kultur heute, 23.11.2021

„Memorial muss bleiben“ – Klaus Staeck zu seinem Protestschreiben (Interview nachzuhören von min 7 bis min 12 der Sendung)

Opposition in Belarus

Video-Brief von Jurij Chaschtschewatski an Klaus Staeck (16.08.2020)

Link zum Video-Brief auf Youtube (ca. 3 min)

Filme von Jurij Chaschtschewatski auf Youtube (Auswahl):
Обыкновенный президент / Ordinary President, 1996, russ./engl. UT
Плошча / The Square, 2007, russ./engl. UT
Обыкновенные выборы / Ordinary Elections, 2011, russ.

Erinnerung an den Film „Ein gewöhnlicher Präsident“  von Jurij Chaschtschewatski

Mit dem Film „Der gewöhnliche Präsident“ entstand im Jahre 1996 ein eindrucksvolles Porträt des zwei Jahre zuvor gewählten Präsidenten Alexander Lukaschenko (belorussische Schreibweise: Lukaschenka). Jurij Chaschtschewatski hat seinen Film Michail Romm gewidmet, dessen Dokumentarfilmklassiker „Der gewöhnliche Faschismus“ dreißig Jahre zuvor zeigte, wie im nationalsozialistischen Deutschland Massensuggestion und Zwang zu unbedingtem Gehorsam gegenüber dem „Führer“ eine zivile Menge in eine uniformierte Gesellschaft verwandelte.

Chaschtschewatski konnte seinen Film bereits einen Monat nach einer illegalen Premiere in Belarus im Forum des jungen Films zur Berlinale 1997 vorstellen (Inhaltsangabe und Entstehungsgeschichte). Klaus Staeck lud Jurij Chaschtschewatski 1998 für eine Veranstaltung von Künstlern und Intellektuellen im Wahlkampf zu einem Treffen mit dem SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder nach Berlin ein.

Jurij Chaschtschewatski, Gerhard Schröder und Klaus Staeck 1998 in Berlin. Foto privat

Anhaltende Proteste wegen Wahlfälschungen und Gewaltaktionen gegen Demonstranten

Zahlreiche Schriftsteller und Künstler in Belarus unterstützen die Protestbewegung nach der offensichtlich gefälschten Wahl vom 9. August 2020, mit der sich Präsident Lukaschenko eine weitere Amtszeit sichern will.

Nach Informationen von Kerstin Holm (FAZ, 14.8.2020) hat die Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch den Präsidenten zum Rücktritt aufgefordert: „Hau ab, bevor es zu spät ist, bevor du die Menschen in den Abgrund eines Bürgerkriegs gestürzt hast!“ Der Machtapparat habe dem eigenen Volk den Krieg erklärt. Sie zeige sich entsetzt über die Brutalität der OMON-Spezialkräfte, die mit „unmenschlichem, ja satanischem Furor“ gegen Demonstranten vorgegangen sind.

Der in Deutschland lebende Dirigent Vitali Alekseenok sei in seine Heimat zurückgekehrt, um sich an den Aktionen gegen das Regime zu beteiligen. Auch die streikenden Mitarbeiter der staatlichen Philharmonie protestierten vor dem Hauptportal mit Gesängen eines Chorgebets und mit Buchstabenplakaten, die den Satz „Meine Stimme wurde gestohlen (U menja ukrali golosa)“ bildeten. Der russische Geiger und Dirigent Wladimir Spiwakow hat einen Orden, der ihm 2014 vom belorussischen Staat verliehenen wurde, abgelegt, weil es beschämend sei, angesichts der schwarzen Gewalt, mit der Lukaschenko sein Volk niedermache, eine Auszeichnung von ihm zu tragen.

Belarus – Aufbruch in die selbstbestimmte Freiheit

Eine lange Reise durch Leid und eine als demütigend erfahrene Kette von historischen Erfahrungen gehen zu Ende. Furchtbar hatte eine deutsche Soldateska in Belarus gewütet. Über ein Drittel der weißrussischen Bevölkerung wurden im Zweiten Weltkrieg ermordet. Die jüdische Welt des Staedtel suchte Hitler und seine Helfershelfer in der Hölle des Holocaust zu vernichten. Mutig widersetzten sich Weißrussen mit der Roten Armee der Nazi-Diktatur. Schließlich konnten sie siegen.

Geprägt von überraschend frischen ästhetischen Sichtweisen, bereiten zeitgenössische Künstlerinnenund Künstler den Aufbruch in die selbstbestimmte Freiheit vor. In der „ersten Stadt der neuen Welt“ (Karl Schlögel), Witebsk, begann Marc Chagall seinen Weg in die Moderne und Kasimir Malewitsch setzte ihn eigenwillig fort. Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch hat eine neue literarische Spur gelegt. Sie hat die „letzten Zeugen unserer Zeit“ aufgerufen und mit ihnen ein Denkmal gebaut, damit die Leiden gebannt und der Mut sie zu überstrahlen beginnt. 2013 dankte der deutsche Buchhandel ihr mit dem Friedenspreis und 2015 das Nobelpreiskomitee für ihr Werk. Sie schreibt an einer „Chronik für die Zukunft“. Ihre Stimme ist weich und eindringlich und ruft auf zur Menschlichkeit.

Wir erklären unsere Solidarität für die Frauen und Männer, die gegen das autokratische Regime aufstehen. Wir unterstützen die Forderung nach freien und fairen Wahlen in Belarus. Wir rufen dazu auf, den Weg der Belarussinnen und Belarussen in die von ihnen selbst bestimmte Freiheit zu begleiten.

Gert Weisskirchen / Klaus Staeck

Deutschlandfunk, „Kultur heute“, 16.08.2020:
Verweigerung – Die Rolle der Künstler bei den Protesten in Belarus [AUDIO]

Deutschlandfunk, „Kultur heute“, 17.08.2020:
In den Kulturnachrichten wurde der Video-Brief von Jurij Chaschtschewatski an Klaus Staeck zitiert.

Louisa Hanoune

Louisa Hanoune wurde am 9. Mai 2019 vom Militärgericht in der Stadt Blida (Algerien) in Untersuchungshaft genommen. Frau Hanoune hat die seit Monaten anhaltenden Massenproteste unterstützt und trat mehrfach als Oppositionskandidatin bei den Präsidentschaftswahlen an. Die konkreten Vorwürfe, die zu ihrer Verhaftung führten, sind bislang unbekannt.

Klaus Staeck hat sich am 3. Juni 2019 in einem Schreiben an den algerischen Botschafter in Deutschland dafür eingesetzt, dass Louisa Hanoune umgehend und bedingungslos freigelassen wird. Das Vorgehen der Militärgerichtsbarkeit gegen politisch unliebsame Meinungen widerspreche allen rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien.

Oleg Senzow war fünf Jahre in Haft

Oleg Senzow am 7. September 2019 im Rahmen eines Gefangenenaustausches zwischen Russland und der Ukraine freigelassen.

Oleg Senzow am 7.9.2019 auf dem Kiewer Flughafen Borispol. Foto REUTERS (Bildausschnitt)

Die seit fünf Jahren anhaltenden internationalen Proteste gegen die Verhaftung und gegen das Urteil zu 20 Jahren Lagerhaft haben erreicht, dass Oleg Senzow für die Weltöffentlichkeit nicht in Vergessenheit geriet. Die Akademie der Künste war unter den ersten, die im Jahre 2014 mit Briefen an den russischen Botschafter in Berlin und an den Sicherheitsdienst FSB in Moskau die Freilassung des von der Krim stammenden Filmregisseurs forderten. Senzows Widerstand gegen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim wurde mit einer Anklage wegen Terrorismus geahndet. Er mußte mehrere Jahre in einer sibirischen Strafkolonie zubringen.

Aktion für mehr Demokratie hat sich vor fünf Jahren dem internationalen Protest gegen die Verhaftung und spätere Verurteilung Oleg Senzows angeschlossen. Klaus Staeck am 10. Mai 2019. Foto Bettina Huber

Seit fünf Jahren sitzt der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow in russischer Haft. Vor einem halben Jahr brach er seinen Hungerstreik ab.

Seine Anwältin Olga Dinse konnte letztmalig Senzow im März 2019 im russischen Straflager in Labytnangi am Polarkreis besuchen.

Senzow wurde vor fünf Jahren, am 10. Mai 2014, auf der Krim vom Föderalen Sicherheitsdienst Russlands (FSB) zusammen mit drei weiteren Personen festgenommen. Der FSB behauptete, alle vier hätten in Simferopol, Sewastopol und Jalta Terroranschläge geplant. Senzow habe, so die russischen Ermittler, eine Gruppierung angeführt, die der nationalistischen ukrainischen Bewegung „Rechter Sektor“ nahe gestanden habe. Senzow wies alle Vorwürfe zurück. 2015 wurde er von einem Gericht im südrussischen Rostow am Don zu 20 Jahren Haft verurteilt. Amnesty International kritisierte das Verfahren als „unfair“. Anfang 2016 wurde Senzow nach Jakutien und von dort in die Strafkolonie in Labytnangi am Polarkreis geschickt.

Senzow war im Mai 2018 in einen Hungerstreik getreten. Damit wollte er die Freilassung von 64 ukrainischen Staatsbürgern erreichen, die in Russland aus politischen Gründen inhaftiert sind. Anfang Oktober beendete Senzow den Hungerstreik, angesichts einer drohenden Zwangsernährung.

Nach dem aktuellen Besuch seiner Anwälte, berichten diese, dass alle Gefangenen stets mindestens die Hälfte des Tages mit militärischem Drill befasst seien. Das sei Pflicht. „Oleg marschiert etwas weniger als die anderen. Er darf nach seinem Hungerstreik mehr Zeit für Spaziergänge und Sport in der Reha aufwenden“, sagte Olga Dinse und fügte hinzu: „Nach der Reha kehrte Oleg zur Kreativität zurück und arbeitet an Drehbüchern. Leider erlaubt ihm die Gefängnisverwaltung nicht, einen Mediaplayer zu nutzen, so dass er die Arbeiten nicht sehen kann, die ihm seine Kollegen schicken.“
(Quelle: DW)

Mehr Informationen zur weltweiten Protestbewegung #FreeOleg

Kirill Serebrennikov

Aktuell:

13.01.2022

Kirill Serebrennikow erhielt überraschend befristete Ausreise für die Endproben des Stücks „Der schwarze Mönch“ am Hamburger Thalia Theater

Der jahrelang unter Hausarrest stehende Theater- und Opernregisseur konnte am 8. Januar für die letzten Proben vor der Premiere am 22. Januar 2022 nach Hamburg reisen. Der erste Teil der Proben fand mit den Schauspielern in Moskau statt. Serebrennikow bereitete in den zurückliegenden vier Jahren meist nur über Zoom seine Inszenierungen im westlichen Ausland vor.

In einem Interview für „DIE ZEIT“ vom 13.01.2022 wollte Serebrennikow seine Situation nicht mit der Wolf Biermanns 1976 vergleichen, der nach der  Ausreisegenehmigung für ein Konzert ausgebürgert wurde: „Man will, dass ich nach Russland zurückkehre – also mache ich das. Ich finde es wichtig, sich an Regeln und Gesetze zu halten. Das schützt mich und es schützt die Menschen, die mir geholfen haben, zu überleben – und die auch diese Reise ermöglicht haben, durch Unterschriften oder die richtigen Papiere. Vor diesen Menschen habe ich eine Verantwortung , und die nehme ich ernst. So wie ich in der Kunst Verantwortung trage für alle, die mit mir arbeiten.“ Serebrennikow sagte, er habe sich nie politisch engagiert. „Ich wollte immer nur das tun, was ich tun wollte. Diese Freiheit brauche ich. Also bekam ich irgendwann Probleme (…) Ein Leben ohne Kämpfe gibt es nur im Tod.“ Im Verhältnis zur Lage von Künstlern in Ländern wie Iran oder Pakistan, die nicht malen, auftreten oder singen dürfen, seien seine Schwierigkeiten „fast klein und banal.“

05.02.2021
Kirill Serebrennikow muss seine Bühne aufgeben. Vertrag als künstlerischer Leiter des „GogolZentrums“ wird nicht verlängert.

Der „Tagesspiegel“ berichtet mit Verweis auf die Nachrichtenagentur TASS, die Kulturabteilung der Moskauer Stadtverwaltung werde den Ende Februar auslaufenden Vertrag mit Kirill Serebrennikow als künstlerischer Leiter des „GogolZentrums“ nicht verlängern. Frank Herold schreibt in seinem Beitrag:

„Seit fast einem Jahr war Serebrennikow beinahe unsichtbar. Anders als seine Mitangeklagten verzichtete er darauf, das Urteil anzufechten. „Kirill hat diese Gerichte so satt“, sagte sein Anwalt Dmitri Charitonow im Sommer vergangenen Jahres. „Nachdem er zu Unrecht verurteilt worden ist, verfiel er in Depressionen.“ Eine Beschwerde wäre auch sinnlos gewesen. Seine Mitstreiter scheiterten damit wenig später.“

28.06.2020
Schuldspruch für Kirill Serebrennikow
Ein Gericht in Moskau hat den russischen Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikow wegen angeblicher Unterschlagung öffentlicher Gelder schuldig gesprochen und zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.
Mehr Informationen in einem Beitrag der Deutschen Welle.
„Das Verfahren gegen Serebrennikow wurde national und international als politischer Schauprozess kritisiert. Beobachter befürchten, dass die Verurteilung Serebrennikows eine Signalwirkung haben könnte.
Der aus Russland ausgewanderte Galerist Marat Guelman vermutet, es würde nun kaum ein Kulturschaffender ‚wagen, ein eigenes Projekt in Russland zu starten‘. Auch der in Berlin lebende Komponist Sergej Newski, der mit Serebrennikow gearbeitet hatte, ist der Meinung, dass die Verurteilung des Regisseurs eine nachhaltige Wirkung für die russische Kultur und deren Wahrnehmung in der Welt haben wird. ‚Diese Verurteilung wird für immer ein Schandflecken auf der Weste der russischen Machthaber sein. Es ist auch erneut vorgeführt worden, dass Kunst und Macht in Russland unterschiedliche Sprachen sprechen‘ „. (DW)

ARTE-Dokumentation Kirill Serebrennikov, Kunst und Macht in Russland
von Katja Fedulova

Kirill Serebrennikov ist einer der produktivsten Film- und Theaterregisseure Russlands. Der Hausarrest konnte ihn nicht von erfolgreichen Neuinszenierungen abhalten. Der Film erzählt, wie Serebrennikov die Bruchstellen der russischen Gesellschaft aufspürt und wie seine Karriere auch ein Spiegel der russischen Kulturpolitik ist.

Am 8. April 2019 wurde nach anderthalb Jahren der Hausarrest gegen den russischen Regisseur Kirill Serebrennikov  überraschend aufgehoben. Serebrennikov darf jedoch weiterhin die Stadt nicht unerlaubt verlassen. Ein Prozess wegen des fadenscheinigen Vorwurfs der mutmaßlichen Veruntreuung öffentlicher Mittel steht nach wie vor aus.

DIE ZEIT, 7.11.2018: „Einen schlagen, alle treffen“
Der Prozess gegen den Regisseur Kirill Serebrennikow stellt die russischen Künstler vor eine entscheidende Frage: Wie leben, wie arbeiten in Putins System? Autorin: Alice Bota

„titel thesen temperamente“ vom 21. Oktober 2018 zum Prozess gegen Kirill Serebrennikov. (Video in der ARD-Mediathek, 6:20 min)

Die Aktion für mehr Demokratie unterstützt die von Thomas Ostermeier & Marius von Mayenburg initiierte Petition zur Freilassung des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov Kirill Serebrennikov weiterlesen

Can Dündar

Can Dündar. Foto Klaus Staeck

Can Dündar war Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“. Er wurde 2015 der Spionage angeklagt und festgenommen; die Staatsanwaltschaft forderte eine lebenslange Haft. Ein Gericht befand Dündar wegen der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen für schuldig und verurteilte ihn zu fünf Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Can Dündar lebt und arbeitet gegenwärtig in Deutschland. Can Dündar weiterlesen