Öffentlich-rechtlicher Rundfunk darf nicht Beute der AfD werden!

Die Vorsitzende der Länder-Rundfunkkommission, Malu Dreyer (SPD), hat davor gewarnt, dass CDU und AfD in Sachsen-Anhalt gemeinsam ein Veto gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrags einlegen. Dreyer sagte, wenn beide Parteien den Medienstaatsvertrag verhindern würden, wäre das ein politischer Dammbruch. In Sachsen-Anhalt werde aktuell nicht nur um eine Anpassung des Beitrags gerungen, sondern um eine vielfältige Medienlandschaft, zu der der öffentlich-rechtliche Rundfunk dazugehört.  Die CDU bringe nicht nur mit Rechtsextremen den Rundfunkstaatsvertrag zum Scheitern, sie würde auch eine Säule der Demokratie schleifen: die Medienvielfalt. Malu Dreyer hat die Bundes-CDU zum Eingreifen in Sachsen-Anhalt aufgefordert. Sie könne das nicht einfach laufen lassen.

(Quelle: dpa / AFP, 6.12.2020)

Öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärken und neuem Rundfunkbeitrag zustimmen

Für die Medien- und Netzpolitische Kommission des SPD-Parteivorstandes sprechen sich die beiden Vorsitzenden Heike Raab und Carsten Brosda für die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) empfohlene Anhebung des Rundfunkbeitrags aus.

„Die Erhöhung von 0,86 Cent ist nicht nur sach- und bedarfsgerecht, sie sichert auch die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und ist für die Demokratie und die demokratische Kultur in unserem Land unbedingt notwendig.

Sollte im Dezember die CDU-Fraktion im sachsen-anhaltinischen Landtag gemeinsam mit der AfD die Ratifizierung des 1. Medienänderungsstaatsvertrages verhindern, wäre das in erster Linie ein politischer Dammbruch. Die KEF hat ihre Empfehlung staatsfern und pluralistisch getroffen und sachlich begründet. Die Länder haben diese 1:1 im Staatsvertrag umgesetzt. Die Empfehlung der KEF wird auch die Basis für mögliche Klagen der öffentlich-rechtlichen Anstalten gegen die nicht auftragsgemäße Finanzierung sein, die wahrscheinlich Aussicht auf Erfolg haben.

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben auch die Anliegen der ostdeutschen Länder aufgenommen, sowohl in der Programmgestaltung und als auch bei der Produktion ganz Deutschland in den Blick zu nehmen.

Die Erhöhung des Rundfunkbeitrages ist somit begründet und überfällig, denn seit 2009 wurde der Beitrag nicht mehr erhöht. Gleichzeitig sind aber über all die Jahre die Tariflöhne gestiegen, Produktionen haben sich verteuert und Investitionen in die digitale Transformation sind hinzugekommen.

Wir appellierten an die gewählten Abgeordneten für den Staatsvertrag zu stimmen, denn freie Medien gibt es nur in lebendigen Demokratien. Deshalb ist es auch eine Aufgabe der Unionsführung insgesamt, dafür zu sorgen, dass hier nicht mutwillig und gemeinsam mit der AfD die Axt an unsere Medienordnung gelegt wird. Wir erwarten von der CDU, ihre gesamtstaatliche Verantwortung für den Erhalt eines freien und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks ernst zu nehmen und davon auch die Parteikolleginnen und –kollegen in Sachsen-Anhalt zu überzeugen.“

Sind 86 Cent das wert?

Die Landtagsabgeordneten der CDU in Sachsen-Anhalt sind bereit, mit der AfD gemeinsame Sache in der Rundfunkpolitik zu machen. Sie setzen nicht nur ihre Regierungskoalition aufs Spiel. Es geht um mehr. Klaus Staecks Kolumne vom 26.11.2020 (veröffentlicht in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau)

DIE TAGESZEITUNG, 07.12.2020

„Der rechte CDU-Flügel in Sachsen-Anhalt fühlt sich der AfD näher als den mitregierenden Grünen. Er stimmt denselben verächtlichen Tonfall an, den die rechtsextreme AfD setzt: Für sie sind die Öffentlich-Rechtlichen eine linksgrün versiffte Propagandamaschine, die aufrechte BürgerInnen indoktriniert. Die AfD hasst kritischen Journalismus, weil er ihre Schwächen offenlegt. Darf man der Ansicht sein, die Anstalten brauchten nicht mehr Geld, obwohl die 86 Cent mehr de facto die erste Gebührenerhöhung seit 2009 sind? Selbstverständlich. Aber den Kontext der Debatte so konsequent zu ignorieren, wie es die Bundesspitze der CDU tut, ist gefährlich und falsch.“

Update 08.12.2020: Sachsen-Anhalt stoppt Erhöhung des Rundfunkbeitrages

In der Debatte um die Anhebung des Rundfunkbeitrags wird Sachsen-Anhalt dem Staatsvertrag nicht zustimmen. Ministerpräsident Reiner Haseloff kündigte am Dienstag (08.12.2020) an, das Gesetz zurückzuziehen. Medienausschuss und Landtag werden sich folglich nicht mit dem Thema befassen. Der Medienstaatsvertrag ist damit gescheitert. Die geplante Beitragsanpassung wird bundesweit blockiert, wenn nicht alle Landesparlamente dem Vorhaben bis Jahresende zustimmen.

Die Fraktionen von CDU, SPD und Grünen hätten mitgeteilt, dass es unterschiedliche Auffassungen zum Staatsvertrag gebe, hieß es aus der Staatskanzlei. Daraus folge, dass es im Landtag keine Mehrheit für das Vorhaben gebe.

Opposition in Belarus

Video-Brief von Jurij Chaschtschewatski an Klaus Staeck (16.08.2020)

Link zum Video-Brief auf Youtube (ca. 3 min)

Filme von Jurij Chaschtschewatski auf Youtube (Auswahl):
Обыкновенный президент / Ordinary President, 1996, russ./engl. UT
Плошча / The Square, 2007, russ./engl. UT
Обыкновенные выборы / Ordinary Elections, 2011, russ.

Erinnerung an den Film „Ein gewöhnlicher Präsident“  von Jurij Chaschtschewatski

Mit dem Film „Der gewöhnliche Präsident“ entstand im Jahre 1996 ein eindrucksvolles Porträt des zwei Jahre zuvor gewählten Präsidenten Alexander Lukaschenko (belorussische Schreibweise: Lukaschenka). Jurij Chaschtschewatski hat seinen Film Michail Romm gewidmet, dessen Dokumentarfilmklassiker „Der gewöhnliche Faschismus“ dreißig Jahre zuvor zeigte, wie im nationalsozialistischen Deutschland Massensuggestion und Zwang zu unbedingtem Gehorsam gegenüber dem „Führer“ eine zivile Menge in eine uniformierte Gesellschaft verwandelte.

Chaschtschewatski konnte seinen Film bereits einen Monat nach einer illegalen Premiere in Belarus im Forum des jungen Films zur Berlinale 1997 vorstellen (Inhaltsangabe und Entstehungsgeschichte). Klaus Staeck lud Jurij Chaschtschewatski 1998 für eine Veranstaltung von Künstlern und Intellektuellen im Wahlkampf zu einem Treffen mit dem SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder nach Berlin ein.

Jurij Chaschtschewatski, Gerhard Schröder und Klaus Staeck 1998 in Berlin. Foto privat

Anhaltende Proteste wegen Wahlfälschungen und Gewaltaktionen gegen Demonstranten

Zahlreiche Schriftsteller und Künstler in Belarus unterstützen die Protestbewegung nach der offensichtlich gefälschten Wahl vom 9. August 2020, mit der sich Präsident Lukaschenko eine weitere Amtszeit sichern will.

Nach Informationen von Kerstin Holm (FAZ, 14.8.2020) hat die Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch den Präsidenten zum Rücktritt aufgefordert: „Hau ab, bevor es zu spät ist, bevor du die Menschen in den Abgrund eines Bürgerkriegs gestürzt hast!“ Der Machtapparat habe dem eigenen Volk den Krieg erklärt. Sie zeige sich entsetzt über die Brutalität der OMON-Spezialkräfte, die mit „unmenschlichem, ja satanischem Furor“ gegen Demonstranten vorgegangen sind.

Der in Deutschland lebende Dirigent Vitali Alekseenok sei in seine Heimat zurückgekehrt, um sich an den Aktionen gegen das Regime zu beteiligen. Auch die streikenden Mitarbeiter der staatlichen Philharmonie protestierten vor dem Hauptportal mit Gesängen eines Chorgebets und mit Buchstabenplakaten, die den Satz „Meine Stimme wurde gestohlen (U menja ukrali golosa)“ bildeten. Der russische Geiger und Dirigent Wladimir Spiwakow hat einen Orden, der ihm 2014 vom belorussischen Staat verliehenen wurde, abgelegt, weil es beschämend sei, angesichts der schwarzen Gewalt, mit der Lukaschenko sein Volk niedermache, eine Auszeichnung von ihm zu tragen.

Belarus – Aufbruch in die selbstbestimmte Freiheit

Eine lange Reise durch Leid und eine als demütigend erfahrene Kette von historischen Erfahrungen gehen zu Ende. Furchtbar hatte eine deutsche Soldateska in Belarus gewütet. Über ein Drittel der weißrussischen Bevölkerung wurden im Zweiten Weltkrieg ermordet. Die jüdische Welt des Staedtel suchte Hitler und seine Helfershelfer in der Hölle des Holocaust zu vernichten. Mutig widersetzten sich Weißrussen mit der Roten Armee der Nazi-Diktatur. Schließlich konnten sie siegen.

Geprägt von überraschend frischen ästhetischen Sichtweisen, bereiten zeitgenössische Künstlerinnenund Künstler den Aufbruch in die selbstbestimmte Freiheit vor. In der „ersten Stadt der neuen Welt“ (Karl Schlögel), Witebsk, begann Marc Chagall seinen Weg in die Moderne und Kasimir Malewitsch setzte ihn eigenwillig fort. Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch hat eine neue literarische Spur gelegt. Sie hat die „letzten Zeugen unserer Zeit“ aufgerufen und mit ihnen ein Denkmal gebaut, damit die Leiden gebannt und der Mut sie zu überstrahlen beginnt. 2013 dankte der deutsche Buchhandel ihr mit dem Friedenspreis und 2015 das Nobelpreiskomitee für ihr Werk. Sie schreibt an einer „Chronik für die Zukunft“. Ihre Stimme ist weich und eindringlich und ruft auf zur Menschlichkeit.

Wir erklären unsere Solidarität für die Frauen und Männer, die gegen das autokratische Regime aufstehen. Wir unterstützen die Forderung nach freien und fairen Wahlen in Belarus. Wir rufen dazu auf, den Weg der Belarussinnen und Belarussen in die von ihnen selbst bestimmte Freiheit zu begleiten.

Gert Weisskirchen / Klaus Staeck

Deutschlandfunk, „Kultur heute“, 16.08.2020:
Verweigerung – Die Rolle der Künstler bei den Protesten in Belarus [AUDIO]

Deutschlandfunk, „Kultur heute“, 17.08.2020:
In den Kulturnachrichten wurde der Video-Brief von Jurij Chaschtschewatski an Klaus Staeck zitiert.

Olaf Scholz tritt für die SPD als Kanzlerkandidat an

Norbert Walter-Borjans, Olaf Scholz und Saskia Esken bei der Pressekonferenz zur Kanzlerkandidatur am 10. August 2020 in Berlin. Foto Manfred Mayer

Olaf Scholz verkündete auf der kurzfristig angesetzten Pressekonferenz in Berlin-Schöneberg seine Kandidatur als Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2021. Es sei sein Ziel, die nächste Regierung zu führen und an einer neue Ära für die Zukunft unseres Landes und Europas mitzuwirken. Er nannte drei Hauptaufgaben, die bewältigt werden müßten:

1. Respekt und Anerkennung sind als zentrale Kategorien in unserer Gesellschaft durchzusetzen. Das umfasse die Schaffung stabiler Arbeitsverhältnisse in einem Sozialstaat, auf den man sich verlassen kann. Respekt sei auch eine Frage der kulturellen Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft.

2. Wie entwickeln wir die Zukunft in diesem Jahrzehnt? Wie gelingt es uns als hochentwickeltem Industrieland, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten? Wie bewältigen wir die umfassende Digitalisierung in der Gesellschaft als Zukunftsaufgabe?

3. Die Zukunft unseres Landes ist untrennbar verbunden mit der Zukunft Europas.

Gegen eine Vereinnahmung Walter Benjamins durch den Rassemblement National

Klaus Staeck protestiert gegen die Vereinnahmung des Gedenkens an Walter Benjamin durch die französische Rechte und erklärt sich solidarisch mit dem Brief der französischen Intellektuellen, veröffentlicht am 30. Juni in “Le Monde”.

Tribune pour Walter Benjamin : « Si l’ennemi triomphe, même les morts ne seront pas en sûreté… »

»Auch die Toten werden, vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein.«
Für Walter Benjamin

Offener Brief

Knapp 80 Jahre trennen uns von diesen Worten, die heute unheilverkündend klingen.

Nach dem „escape game“ (Fluchtspiel) Portbou’s getreu dem Motto “Rettet Walter Benjamin”  – einem obszönen Rollenspiel, das die Teilnehmer einlud, seine letzten Tage noch einmal zu erleben –  folgt nun die dunkle, viel ernstere Zeit einer ganz anderen Ordnung, die Zeit einer neuen Instrumentalisierung des Schicksals des deutschen Philosophen, der sich umgebracht hat, um dem Nationalsozialismus zu entkommen. Ein Verrat ganz anderen Ausmaßes.

In der Tat entdecken wir an der Wende im Programm von Louis Aliot, Abgeordneter des „Rassemblement National“( Nachfolgeorganisation des Front National, CWA) und Kandidat “ohne Etikett” für das Rathaus von Perpignan, – nicht ohne Schaudern -, seinen erklärten Willen, das “Kunstzentrum Walter Benjamin”, das derzeit geschlossen ist, wieder zu eröffnen, um es zu einem Ort zu machen, der „der Schöpfung und der Pflicht zur Erinnerung gewidmet ist (Einrichtung von Ausstellungen, Konferenzen, Künstlerresidenzen, Schöpfungen vor Ort…)“. Werden wir es zulassen, dass Walter Benjamin zur Beute, zur Trophäe, zur Kriegsbeute wird, in dem gewaltigen Versuch der Entdämonisierung des „RN“, der zu diesem Zweck nicht zögert, sich zusätzlich zum jüdischen Gedächtnis, des Schicksals der Zigeuner und der tragischen Geschichte der spanischen „Retirada“ (Der Flüchtlinge des spanischen Bürgerkriegs. CWA) zu bemächtigen?

Erinnerung und Geschichte verpflichten. Sie verpflichten uns, und erinneren daran, dass sich die Partei von Herrn Aliot im Erbe der nationalistischen, politischen Bewegungen befindet, vor denen Benjamin in den 1930er und 1940er Jahren zuerst in Deutschland, dann in Frankreich und in Europa gezwungen wurde zu fliehen, die ihn verfolgten und gegen die er immer wieder aufstand. Einer unter vielen anderen „Namenlosen“, der für sie Zeugnis ablegen muß.

Es ist dringend notwendig, sich ihrer und ihrer Kämpfe zu erinnern und in unserer Gegenwart dieses schreckliche Urteil in vollem Umfang zu ermessen: »Auch die Toten werden, vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.« [W.B. Über den Begriff der Geschichte, (1940) GS I.1, S. 695]

Es ist dringend notwendig ihnen den Namen Walter Benjamin zu entreißen – um ihn zu schützen – vor den Händen der äußersten Rechten und all derjenigen, die die Geschichte der Unterdrücker von gestern umschreiben wollen, während sie Ausländer und Migranten in all ihren Formen stigmatisieren.

Wir sind davon überzeugt, dass die Erinnerung an das, was sich in Port Bou, nur einen Steinwurf von Perpignan entfernt, abgespielt hat, für Walter Benjamin wie für so viele andere, uns dazu verpflichtet, mit größter Eindeutigkeit zu reagieren. „No pasaran!“ [„Sie kommen nicht durch“: Parole der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg. CWA)]

In diesem Geist des Widerstands gegen alle Formen des Vergessens und der Manipulation unseres kollektiven Gedächtnisses, widersetzen wir uns entschieden und mit allen verfügbaren Mitteln, dagegen, dass der Name Walter Benjamins während der Legislaturperiode eines Bürgermeisters des „Rassemblement National“ im Zusammenhang mit der Wiedereröffnung eines Kunstzentrums in Perpignan in Verbindung gebracht wird.

(Übersetzung Claudia Wörmann-Adam)

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Wem gehört Walter Benjamin?“

Mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlichen wir einen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung übermittelten Leserbrief zum Artikel „Wem gehört Walter Benjamin?“ von Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Vorsitzender der Hans-Mayer-Gesellschaft

„Wer hat denn welches Recht, sich an wen wie zu erinnern?“ fragt Simon Strauß unter der irreführenden Überschrift „Wem gehört Walter Benjamin?“ vom 4. bzw. 5. August in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (faz.net). Falls Benjamin überhaupt jemandem „gehört“, dann höchstens seiner Familie, d.h. seinen Nachkommen. Die allerdings haben sich eindeutig geäußert, was Simon Strauß verschweigt. Die Enkel sagen: „Es ist eher eine Untertreibung zu sagen, dass die Vorstellung, dass der Name unseres Großvaters benutzt wird, um die Ideale und Ideen der extremen Rechten zu fördern, uns mit Schrecken erfüllt. Aliot und das Rassemblement National stehen für alles, wogegen unser Großvater, aber auch unsere Großmutter Dora Benjamin und unser Vater Stefan emotional, politisch und intellektuell waren.“ 

Womit wir beim eigentlichen Thema sind. Der RN-Politiker Louis Aliot hat nicht erst nach seiner Wahl die von ihm beabsichtigte Nutzung des Kulturzentrums angekündigt, sondern bereits im Wahlprogramm seiner Liste. Die hat er mit weiteren Kandidatinnen und Kandidaten als „bürgerliche Liste“ präsentiert. Der Wolf hat also den Schafspelz übergezogen, um seine „Entdiabolisierungsstrategie“ zur Schau tragen zu können. Es gäbe noch einiges mehr zur Vereinnahmungsstrategie Aliots zu sagen. Nehmen wir abschließend die von Herrn Strauß kritisierte „Schändung“ auf. Der von ihm zitierte aber nicht so benannte »Kronjurist des Dritten Reiches«, Carl Schmitt, hatte seinerzeit mit anderen nationalsozialistischen Juristen empfohlen, den Menschenbegriff aufzugeben. Man müsse unterscheiden: „es gibt Volksgenossen, Reichsdeutsche, Ausländer, Juden u.a.“. Was das Schicksal der Juden war, ist bekannt. Der kritisierte Begriff der „Schändung“ ist da eher eine sehr zurückhaltende Bezeichnung des Sachverhaltes.

Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Köln

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Kolumne in der Berliner Zeitung und in der Frankfurter Rundschau am 20.08.2020: Vereinnahmung von Walter Benjamin

Oskar Negt zur Corona-Krise

In einem Interview, erschienen in der Frankfurter Rundschau am 27.05.2020, beschreibt der Sozialphilosoph seine Beobachtungen, wie die Kontaktbeschränkungen neue Formen von Öffentlichkeit schaffen. Die Corona-Krise könne auch als soziologisches Experiment begriffen werden.

Oskar Negt, geb. 1934, studierte in Frankfurt bei Max Horkheimer, promovierte bei Theodor W. Adorno und war Assistent von Jürgen Habermas. Von 1970 bis 2002 hatte Negt eine Professor für Soziologie in Hannover. 

Aus dem Interview, das Daniel Behrendt mit Oskar Negt führte:

Herr Negt, was erleben wir gerade: eine vorübergehende Krise oder eine Zeitenwende?

Mir scheint, dass sich schon vorher bestehende gesellschaftliche Erosionsprozesse verschärft haben, also das Brüchigwerden etablierter Bindungen und Wertemuster. In dem Maß, in dem alte Gewissheiten und Orientierungen poröser werden, entsteht, zunächst noch tastend, ein neues Bewusstsein. Ich habe das Gefühl, dass der gegenwärtige Stillstand von Produktion und öffentlichem Leben, die Verlangsamung unseres Alltags, dazu führt, dass sich immer mehr Menschen die Frage stellen, in welchen Zusammenhängen sie eigentlich leben, in welchen Verbindungen und Abhängigkeiten sie stehen. Viele begreifen gerade womöglich zum ersten Mal wirklich, was Gesellschaft, was unsere Demokratie für sie bedeutet. Nicht nur als politische Konstruktion oder als institutionelles Geflecht, sondern als etwas mit den eigenen Lebenszusammenhängen unmittelbar Verknüpftes.

Was heißt das konkret?

In Zeiten von Kontaktbeschränkungen entstehen neue Formen von Öffentlichkeit und Wegen, miteinander in Bezug zu treten. Es fing in Italien auf den Balkonen an. Menschen überwanden die politisch auferlegte Grenze zum Nachbarn durch gemeinsames Singen. In meiner Nachbarschaft in Hannover spielt ein Klavierprofessor jeden Nachmittag um 17 Uhr Jazz-Improvisationen von seinem Balkon vor wachsender Zuhörerschaft. Das sind – neben vielfältigen Formen der Nachbarschaftshilfe – nur zwei Beispiele, auf welch spontane, mitunter unkonventionelle Weise Menschen derzeit Beziehungen zueinander herstellen. Inmitten aller Beschränkungen entsteht eine neue Freiheit, die uns die Möglichkeit eröffnet, aus dem Erprobten, Konventionellen auszuscheren. Und das hat viel mit Mündigkeit, mit gelebter Demokratie zu tun.

( …)

Wird dieses Bewusstsein die Krise überdauern?

Zumindest wird etwas hängenbleiben, da bin ich mir sicher. Weil die Menschen in dieser außergewöhnlichen Situation, für die es ja keine Blaupause gibt, stärker denn je aus eigener, authentischer Erfahrung lernen. Und dieser Erfahrungsbezug ist der stärkste Motor für nachhaltige Veränderung.

Welche Hoffnung weckt das in Ihnen?

Dass wir Alternativen zur bestehenden Ordnung erkennen und ergreifen lernen. Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die nicht förderlich ist für Solidarität, sondern auf der Schädigung und Ausgrenzung des Nächsten gründet. Es ist eine in ihren Grundzügen räuberische Gesellschaft. Die Corona-Krise, die eine Herausforderung, gewissermaßen eine Lernprovokation ist, lehrt uns Zusammenhalt. Wir entdecken zugleich, was wir dem Gemeinwesen, was wir unseren Mitmenschen geben können. Wir begreifen, dass Teilen eine weit bessere Krisenbewältigungsstrategie ist als Raffen, als etwa die Akkumulation von Klopapierrollen. Natürlich ist der Ausgang dieser Krise längst noch nicht absehbar. Aber ich habe Hoffnung, dass dieser Zusammenhalt bleibt. Getrübt wird meine Zuversicht allerdings von einer großen Sorge: Dass eine Gewöhnung an den Zustand der Einschränkung wesentlicher Grundrechte stattfindet – und damit dem möglichen Missbrauch berechtigter Ängste durch antidemokratische Kräfte Tür und Tor geöffnet wird.

Das ganze Interview können Sie hier in der Frankfurter Rundschau lesen.

August-Bebel-Preis 2019

Wolfgang Thierse überreichte den August-Bebel-Preis an Malu Dreyer. Die Laudatio hielt die Schriftstellerin Eva Menasse. Foto Manfred Mayer

Trägerin des von Günter Grass gestifteten August-Bebel-Preises 2019 ist Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und gegenwärtig kommissarische Parteichefin der SPD. Die Auszeichnung wurde am 27. September 2019 im Willy-Brandt-Haus verliehen.

In ihrer Rede mahnte Eva Menasse: „Heute durchziehen tiefe Gräben diese Gesellschaft in ganz rechts und in ganz ratlos.“ Der größte Mangel sei der Mangel an Glaubwürdigkeit.  Malu Dreyer sei ein Gegenmodell zu populistischer Meinungsmache: „Sie redet nie jemandem nach dem Mund.“ In der ganzen Hysterie der Zeit gehe sie entschlossener und geradliniger als die meisten anderen ihren Weg,

Hier der Link zur Laudatio von Eva Menasse als pdf-Dokument zum Download. 

Bisherige Preisträger waren Oskar Negt, Günter Wallraff, Klaus Staeck und Gesine Schwan.

 

Louisa Hanoune

Louisa Hanoune wurde am 9. Mai 2019 vom Militärgericht in der Stadt Blida (Algerien) in Untersuchungshaft genommen. Frau Hanoune hat die seit Monaten anhaltenden Massenproteste unterstützt und trat mehrfach als Oppositionskandidatin bei den Präsidentschaftswahlen an. Die konkreten Vorwürfe, die zu ihrer Verhaftung führten, sind bislang unbekannt.

Klaus Staeck hat sich am 3. Juni 2019 in einem Schreiben an den algerischen Botschafter in Deutschland dafür eingesetzt, dass Louisa Hanoune umgehend und bedingungslos freigelassen wird. Das Vorgehen der Militärgerichtsbarkeit gegen politisch unliebsame Meinungen widerspreche allen rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien.

Für die Zukunft Europas 

Lieber professionelle Volksvertreter als Laiendarsteller
Kolumne vom 16. Mai 2019

Es war ein leidenschaftlicher Appell, mit dem Martin Schulz in der vergangenen Woche vor einem großen Auditorium am Pariser Platz in Berlin sein Bekenntnis zum vereinigten Europa erneuerte: „Wir dürfen Europa nicht denen überlassen, die es zerstören wollen. … Unsere Botschaft ist: Wenn du für Europa bist, dann tu was für Europa. Sonst werden wir zum stillen Zeugen des Untergangs einer großen Idee.“ Ein Aufruf, der vor allem Emotionen wecken und weit über das Wahldatum 26. Mai hinaus wirken soll. Man wünscht sich, dass sich viele von der Hoffnung, die Martin Schulz in die Kampagne setzt, mitreißen lassen. Denn allein gute Gefühle für Europa bei möglichst vielen Mitbürgern zu wecken, wird diesmal nicht genügen, um einer immer dreister auftretenden Allianz von Nationalisten, Rassisten, Reaktionären und Vertretern einer „konservativen Revolution“ zu begegnen, die sich in der EU zu einer rechten Kampftruppen-Fraktion zusammenschließen wollen.

Wir haben es in der Hand, mit der Wahl demokratisch verlässlicher Parteien das europäische Projekt vor der Selbstzerstörung zu bewahren und das Vermächtnis seiner Schöpfer, die es aus den Trümmern der beiden Weltkriege schufen, nicht zu verspielen. Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, die Bewältigung einer drohenden Klimakatastrophe, wachsender sozialer Verwerfungen und daraus resultierender Migrationsbewegungen sind nur im internationalen Rahmen zu bewältigen. Das Abschotten hinter neu gezogenen Zäunen wird keines dieser Probleme aus der Welt schaffen. Die jüngsten Erfahrungen mit irrational egoistisch handelnden Politikern, die eher auf eine Internationale der Nationalisten setzen, lassen zuweilen an der Zukunft des Staatenbunds zweifeln. Noch dazu, wenn ein Steve Bannon als deren selbst ernannter Chefideologe sein Hauptquartier in einem italienischen Kloster aufschlägt. Dennoch bleibt die Hoffnung auf eine reformierbare, handlungsfähige europäische Demokratie lebendig. Ich setze jedenfalls auf Politiker, die das Parlament stärken, die sich mit sozialer Verantwortung für bessere Lebensverhältnisse aller Bürger der EU engagieren wollen und für eine gerechte Finanz- und Steuerpolitik kämpfen werden, damit auch die Großkonzerne endlich Steuern zahlen.

Wer wie ich mit dieser Erwartung seine Wahlentscheidung trifft, der sollte nicht erschrecken angesichts eines 95 Zentimeter langen Stimmzettels mit 40 Parteien. Aus manchen Namen lese ich nichts als die Verhöhnung unseres demokratischen Wahlrechts. Und meine Toleranz als Plakatmacher wird zu jeder Wahl ausgereizt, wenn ich Volksverhetzung an den Laternenmasten hängen sehe, ohne dass ihre „Schöpfer“ Sanktionen zu befürchten haben. Als Sozialdemokrat zweifele ich nicht an der Aufrichtigkeit von Menschen, die sich besondere Sorgen um die Zukunft oder um das Wohl der Tiere machen. Aber muss man deshalb gleich mit einer eigenen Gruppierung antreten, die es mit Glück auf zwei Parlamentssitze bringt, nur weil es keine Sperrklausel gibt? Ich akzeptiere das ewige Leben der Grauen Panther, und ich respektiere die Bündnisse für Liebe und allgemeine Gerechtigkeit. Aber mal im Ernst – am 26. Mai geht es um die Zukunft Europas. Und die sehe ich lieber in den Händen professionell agierender Volksvertreter als in einer bunten Schar von Laiendarstellern mit Satireanspruch.

Oleg Senzow war fünf Jahre in Haft

Oleg Senzow am 7. September 2019 im Rahmen eines Gefangenenaustausches zwischen Russland und der Ukraine freigelassen.

Oleg Senzow am 7.9.2019 auf dem Kiewer Flughafen Borispol. Foto REUTERS (Bildausschnitt)

Die seit fünf Jahren anhaltenden internationalen Proteste gegen die Verhaftung und gegen das Urteil zu 20 Jahren Lagerhaft haben erreicht, dass Oleg Senzow für die Weltöffentlichkeit nicht in Vergessenheit geriet. Die Akademie der Künste war unter den ersten, die im Jahre 2014 mit Briefen an den russischen Botschafter in Berlin und an den Sicherheitsdienst FSB in Moskau die Freilassung des von der Krim stammenden Filmregisseurs forderten. Senzows Widerstand gegen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim wurde mit einer Anklage wegen Terrorismus geahndet. Er mußte mehrere Jahre in einer sibirischen Strafkolonie zubringen.

Aktion für mehr Demokratie hat sich vor fünf Jahren dem internationalen Protest gegen die Verhaftung und spätere Verurteilung Oleg Senzows angeschlossen. Klaus Staeck am 10. Mai 2019. Foto Bettina Huber

Seit fünf Jahren sitzt der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow in russischer Haft. Vor einem halben Jahr brach er seinen Hungerstreik ab.

Seine Anwältin Olga Dinse konnte letztmalig Senzow im März 2019 im russischen Straflager in Labytnangi am Polarkreis besuchen.

Senzow wurde vor fünf Jahren, am 10. Mai 2014, auf der Krim vom Föderalen Sicherheitsdienst Russlands (FSB) zusammen mit drei weiteren Personen festgenommen. Der FSB behauptete, alle vier hätten in Simferopol, Sewastopol und Jalta Terroranschläge geplant. Senzow habe, so die russischen Ermittler, eine Gruppierung angeführt, die der nationalistischen ukrainischen Bewegung „Rechter Sektor“ nahe gestanden habe. Senzow wies alle Vorwürfe zurück. 2015 wurde er von einem Gericht im südrussischen Rostow am Don zu 20 Jahren Haft verurteilt. Amnesty International kritisierte das Verfahren als „unfair“. Anfang 2016 wurde Senzow nach Jakutien und von dort in die Strafkolonie in Labytnangi am Polarkreis geschickt.

Senzow war im Mai 2018 in einen Hungerstreik getreten. Damit wollte er die Freilassung von 64 ukrainischen Staatsbürgern erreichen, die in Russland aus politischen Gründen inhaftiert sind. Anfang Oktober beendete Senzow den Hungerstreik, angesichts einer drohenden Zwangsernährung.

Nach dem aktuellen Besuch seiner Anwälte, berichten diese, dass alle Gefangenen stets mindestens die Hälfte des Tages mit militärischem Drill befasst seien. Das sei Pflicht. „Oleg marschiert etwas weniger als die anderen. Er darf nach seinem Hungerstreik mehr Zeit für Spaziergänge und Sport in der Reha aufwenden“, sagte Olga Dinse und fügte hinzu: „Nach der Reha kehrte Oleg zur Kreativität zurück und arbeitet an Drehbüchern. Leider erlaubt ihm die Gefängnisverwaltung nicht, einen Mediaplayer zu nutzen, so dass er die Arbeiten nicht sehen kann, die ihm seine Kollegen schicken.“
(Quelle: DW)

Mehr Informationen zur weltweiten Protestbewegung #FreeOleg

Tu was für Europa!

Martin Schulz startet die Initiative #myeurope im Berliner Allianz-Forum.
Foto Manfred Mayer

 „Wir dürfen Europa nicht denen überlassen, die es zerstören wollen. … Unsere Botschaft ist: Wenn Du für Europa bist, dann tu was für Europa. Sonst werden wir zum stillen Zeugen des Untergangs einer großen Idee.“
Martin Schulz startete mit einer leidenschaftlichen Rede eine überparteiliche Initiative, die über die Europawahl am 26. Mai hinaus wirken soll.  Schulz ist Vorsitzender des neu gegründeten Vereins „Tu was für Europa“, Franziska Brantner, europapolitische Sprecherin der Grünen, die Stellvertreterin. FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff leitet den Beirat. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) ist die Schirmherrin.
Unterstützt wird die Initiative u.a. durch die Deutsche Bahn, die Allianz-Kulturstiftung, die Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa, die European Cultural Foundation, Scholz & Friends, die Deutsche Bank.